Von Kopf bis Fuss auf Puccini eingestellt

Starsopranistin Anja Harteros brilliert an den Osterfestspielen in Salzburg als Tosca. Die Regie macht es sich hingegen zu einfach mit diesem veristischen Meisterstück.

Eleonore Büning, Salzburg
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Nur der Schönheit weiht ich mein Leben: Anja Harteros (Tosca) und Ludovic Tézier (Scarpia) in Salzburg. (Bild: OFS / Forster / PD)

Nur der Schönheit weiht ich mein Leben: Anja Harteros (Tosca) und Ludovic Tézier (Scarpia) in Salzburg. (Bild: OFS / Forster / PD)

Der Startschuss fällt pünktlich um 18 Uhr. Mit Blaulicht und Tatütata prescht die Polizei herein, Vollbremsung, wilde Ballerei, Totenstille. Dann klettert aus der «Wanne», wie man diese Art Mannschaftswagen zu Zeiten der Rote-Armee-Fraktion zu nennen pflegte, ein schmächtiger Sportpulloverjüngling heraus, schaut sich vorsichtig um und verlässt, über Leichen hinwegsteigend, das Parkhausszenario.

Dieses verschwindet just in dem Moment in der Versenkung, fünf Hubpodien agieren dabei bewunderungswürdig synchron. Ob auch geräuschlos, lässt sich indes schlecht sagen. Denn inzwischen hat Christian Thielemann seiner Dresdner Staatskapelle im Graben den Einsatz gegeben, die sich, volles Rohr, Vivacissimo con violenza und im dreifachen Forte, ins Getümmel des ersten Aktes von Giacomo Puccinis «Tosca» stürzt. Die Salzburger Osterfestspiele sind eröffnet.

Süss und saftig

So etwas Verrücktes gibt es nur noch hier. Abgesehen vielleicht von Dubai ist dies wohl der einzige Ort auf der Welt, wo für einen Knalleffekt von zirka dreissig Sekunden ein Drittel des Produktionsbudgets buchstäblich «verballert» werden darf, und das bei nur zwei Aufführungen im Grossen Festspielhaus. Exklusivität, das weiss Intendant Peter Ruzicka ebenso gut wie Regisseur Michael Sturminger, ist nun einmal im Digitalzeitalter eine der seltensten und teuersten Drogen geworden.

Nach dem Knalleffekt zu Beginn geht es freilich betont konservativ weiter. Der Fluchtweg des befreiten politischen Häftlings, alias Konsul Cesare Angelotti, führt aus dem Parkhaus stracks hinauf ins Kirchenschiff von Sant’ Andrea della Valle, Rom, wo alsbald der Freigeist und Maler Mario Cavaradossi aufkreuzt, um den Schützlingen des Kirchendieners Zeichenunterricht zu geben und Angelotti Asyl zu gewähren. Ab sofort sieht alles originalschauplatzmässig aus, wie man’s gewohnt ist: Kirche, Palazzo Farnese, Engelsburg-Plattform mit Blick auf den Petersdom. Und es ertönt dazu eine originale Luxuskurpackung Puccini: laut und üppig, süss und saftig. Man könnte sich bequem zurücklehnen und ein bisschen wegdösen. Könnte sein, manche sind erst wieder wach geworden beim «Vissi d’arte».

Anja Harteros bekommt dafür jedenfalls den einzigen jubelnden Zwischenapplaus des Abends, er dauert sage und schreibe sechzig Sekunden. Sie hätte es mehr als einmal verdient – und ihre famosen Sängerkollegen auch. Der lettische Tenor Aleksandrs Antonenko etwa, für seine gewinnend warme, klare Mittellage, den lyrischen Schmelz und den feinen Metallkern in leicht erreichter strahlender Höhe. Charisma ist ihm allerdings nur in kleiner Dosierung gegeben. Wie ein freundlicher wuscheliger Cavaradossibär tapst Antonenko durch die Künstlerheldenrolle, woran das Ausstatterteam Renate Martin und Andreas Donhauser nicht ganz unschuldig ist. Sie haben ihn recht unkleidsam untergebracht in einem hausmeisterblauen Riesenrussenkittel, den er bis zum bitteren Ende nicht verlassen darf.

Ludovic Tézier, der Scarpia, dagegen trägt einen eleganten Massanzug, ausserdem Managerbäuchlein, einen scharfen Seitenscheitel im frisch geföhnten Silberhaar sowie die üblichen ritualisierten Gesten und Posen eines Machtmenschen zur Schau. Kein satanischer Polizeichef mit posaunenflankierter Bassschwärze, wie er im Buche steht; vielmehr verleiht Tézier den Intrigen des skrupellosen Strippenziehers mit seinen fein dosierten ironischen Zwischentönen, mit idiomatischer Genauigkeit und der geschmeidigen Wucht seines Organs eine veristische Wahrhaftigkeit, die nur noch übertroffen wird vom Gurren und Zürnen der Tosca.

Divenhafter Kältestrom

Die Harteros ist von Kopf bis Fuss auf Puccini eingestellt. Jeder Zoll eine Diva: Sie zickt, schwärmt, schmeichelt, flirtet, wütet und verzweifelt. Ihre Stimme wirkt wie von innen vergoldet, sie kann damit ausdrücken, was immer sie will. Und sogar diesen gewissen divenhaften Kältestrom, der dafür sorgt, dass immer ein kleiner Abstand zwischen ihr, der Göttin, und dem Rest der Welt liegt, kann sie anknipsen und auch wieder ausknipsen, sobald sich Tosca einmal sicher fühlt, wie im Duettglück mit ihrem Mario, für den sie tötet und am Ende stirbt. Und sie bedenkt auch alle Tosca-Traditionen. Fällt verächtlich ins Sprechen, wenn sie Scarpia nach «il prezzo» fragt für das Leben des Liebsten (sie kennt den Preis ja schon). Räkelt sich der Länge nach auf Scarpias Schreibtisch, nachdem der Mistkerl von ihr vorübergehend abgelassen hat, und beginnt, wie einst Maria Jeritza, ihr Kapitulationsgebet an Gott im Liegen, im zartesten Pianissimo.

Gewiss ist dieses «Vissi d’arte» ein Solitär, plötzlich hereinbrechend in den dramatischen Gefühlsstrudel. Vielleicht deshalb hat Thielemann unmittelbar davor eine grosse Fermate eingebaut, die von Puccini so nicht vorgesehen ist. Aber auch Pausen können brüllen. Diese Generalpause, zu lang, zu gross, schreit überflüssigerweise: «Achtung, jetzt kommt sie!» Auch sonst wird, was Dynamik und Phrasengestaltung anbelangt, von Thielemanns Dresdner Zauberharfe einiges überpointiert. Das Legatospiel dieses Orchesters ist gewiss unübertroffen. Butterweiche Hörner sitzen in der Staatskapelle, berückend blühende Holzbläser, die Streicher singen und fliessen, tränenselig schweben die Celli herbei, um Cavaradossis letzte grosse Arie einzuleiten, und die Trompeten, die in sein «Vittoria!» schmettern, sind eine Streitmacht für sich. Dennoch ist der erste Aufzug fast durchwegs zu laut geraten, die Kontraste wirken künstlich gesetzt.

Thielemann mag zu viel des Guten gewollt haben, indes hat es sich Regisseur Sturminger mit dieser Salzburger «Tosca» definitiv zu leicht gemacht: Die anfangs mit der Rote-Armee-Fraktion, im Schlussbild mit der Mafia (und Paolo Sorrentinos Film «Il Divo») herbeizitierten Gegenwartsbezüge sind billig aufgeklebte Stickerillustrationen, sie fügen der Sicht aufs Werk nichts von Bedeutung hinzu. Aber sie beschädigen es auch nicht. «Tosca», dieses Stück von meisterhafter Dichte und Kürze, ist einfach nicht kaputt zu kriegen. Im nächsten Jahr stehen Ri­chard Wag­ners «Meis­ter­sin­ger» auf dem Pro­gramm der Os­ter­fest­spie­le.