Mailänder Scala: Auch in der Hölle lässt sich's himmlisch singen

An nichts wird gespart in David Pountneys Inszenierung der «Francesca da Rimini»: Das opulente Bühnenbild, das wendig agierende Orchester und eine hervorragende Sängerbesetzung bringen Zandonais selten gespielte Oper in Mailand zum Leuchten.

Michael Stallknecht, Mailand
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Ihre Stimme überstrahlt alles: Maria José Siri (Mitte) in der Rolle der Francesca. (Bild: PD)

Ihre Stimme überstrahlt alles: Maria José Siri (Mitte) in der Rolle der Francesca. (Bild: PD)

Geschossen wird mit grossen Kanonen. In gleich mehrfacher Ausfertigung senken sie sich zum Ende des zweiten Akts von der Bühne herunter, um das Publikum der Mailänder Scala mit gehörigem Knalleffekt in die Pause zu entlassen. Schliesslich komponierte Riccardo Zandonai seine Oper «Francesca da Rimini» 1914, ein Jahr vor dem Eintritt Italiens in den Ersten Weltkrieg. Und als Vorlage für das Libretto wählte er das gleichnamige Schauspiel eines Mannes, dem Knalleffekte über alles gingen.

Dem Dichter Gabriele D’Annunzio konnte im Leben wie in der Kunst nichts gross genug sein: die Zahl der eroberten Frauen, der Kampf für Italien im Ersten Weltkrieg und, als selbsternanntem Comandante der Stadt Fiume, die zeitweise Selbstinszenierung als Renaissancefürst, der Drogenkonsum und das Mausoleum im Garten der Villa am Gardasee, in die sich D’Annunzio, vom faschistischen Italien als lebendes Nationalheiligtum mit allem Nötigen versorgt, zuletzt zurückzog.

Poem aus Blut und Wollust

Aus der irrlichternden Welt D’Annunzios heraus erzählt denn in Mailand auch der Regisseur David Pountney die selten aufgeführte Oper als ironisches Spiel zwischen Rückwärtsgewandtheit und Vorwärtsverteidigung. Da ziehen Ritter in goldener Rüstung als Mittelaltervision über die Bühne, man sieht aber auch das Flugzeug, aus dem D’Annunzio bei einem Propagandaflug über Wien Flugblätter abwarf.

Als Stoff für seine «Francesca da Rimini» hatte D’Annunzio die berühmte Episode aus Dantes «Göttlicher Komödie» gewählt, in der die titelgebende Francesca und ihr Liebhaber Paolo nach der Lektüre eines Ritterromans miteinander die Ehe brechen und deswegen in der Hölle landen. Im Stück und damit auch in der späteren Oper ist schon ihr Leben die Hölle auf Erden, steht doch Paolo «il Bello», der Schöne, hier zwischen zwei gleichermassen blutdürstigen Brüdern: dem hässlichen Giovanni lo Sciancato, Francescas Ehemann, und dem intriganten Malatestino dall’Occhio.

In einem drehbaren Zauberschloss siedelt Pountney D’Annunzios «Poem aus Blut und Wollust» an, das der Verleger Tito Ricordi für Riccardo Zandonai zum Libretto umarbeitete. Das Blut fliesst auf der einen Seite in der grauen Welt der Männer, deren Uniformen hier bereits deutlich vom Faschismus geprägt sind, für die Wollust steht auf der anderen Seite die weisse Welt der Frauen, die vor einem übergrossen weiblichen Torso im Stil der Zeit Blumen flechten. Die Schwelle überschreiten kann nur der schöne Paolo, der die Rosen ebenso liebt wie den Kampf – und die sich langsam von hinten durch den Torso bohrenden Speere, deren letzter das Liebespaar tödlich trifft.

Changierende Stimmungen

Riccardo Zandonai (1883–1944) hat dazu eine Musik geschrieben, der man vielerlei Einflüsse anhört: den französischen Impressionismus mit seinem weich luxurierenden Kolorit, aber auch die Leitmotivik des für die italienischen Komponisten der Zeit fast unvermeidlichen Richard Wagner. Auch der kommende Tonfilm deutet sich bereits in raunenden Backgroundchören an.

Die Farbwechsel scheinen sich gerade in den beiden hektischen ersten Akten zu überstürzen. Eine untergründige Nervosität prägt die vielfältigen Stimmungen, als bleibe der Komposition keine Zeit mehr. Ängste und Vorahnungen vereinen sich in einem dunklen Grundton, den Zandonai vor allem im – ebenfalls auf den Bahnen Wagners – sinfonisch geführten Orchesterapparat entwickelt. Die Instrumentation ist zweifellos brillant, wobei auch einige ältere Instrumente als «mittelalterliches» Kolorit Eingang finden.

Der Dirigent Fabio Luisi arbeitet die Farbigkeit denn auch in maximaler Pointierung heraus, ohne dabei jemals den gnadenlosen Vorwärtsdrang preiszugeben. Bereits 1994 hatte der heutige Generalmusikdirektor der Zürcher Oper das Stück bei den Bregenzer Festspielen dirigiert. An der Scala geht er es nun mit einer Verve und Leidenschaft an, die man durchaus als erneute Werbung für das Stück verstehen darf.

Ein Sängerfest

Voraussetzung dafür bleibt aber eine Sängerbesetzung, die nicht jedes Opernhaus zusammenbringt. Denn Zandonai steigert hier in der Spätphase der italienischen Oper auch die vokalen Gesten zum fortwährenden ekstatischen Knalleffekt. Selbst in den Nebenrollen sind stimmlich gewissermassen ebenfalls grosse Kanonen gefordert. In der Titelrolle ist an der Scala mit Maria José Siri ein echter Spintosopran im Einsatz, der bis in die gleissenden Spitzentöne hinein zu maximaler Entäusserung fähig ist. Dabei kann die Sopranistin aus Uruguay ihre gehaltvolle Stimme stufenlos expandieren, lässt sie gerade in den weicheren Farben der Hingabe intensiv strömen.

Auch der Argentinier Marcelo Puente zeigt in der Rolle des schönen Paolo die klassische baritonale Grundierung schwerer Tenorstimmen, erarbeitet sich mittels eines vorbildlichen Mezzavoce aber auch die zärtlicheren Farben des Liebhabers. Und selbst in der Rolle seines brutalen Bruders Giovanni beherzigt der Bariton Gabriele Viviani die alte Regel, dass leisere Töne oft viel gefährlicher wirken als laute. So bleibt «Francesca da Rimini» zuletzt doch, was die italienische Oper im Kern immer war: eine Oper der Sänger.