Wagners „Tannhäuser“ in Weimar : Hier geht es um die Wurst, also Thüringens Zukunft
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Sündigeres Licht gibt’s nicht: Beim alten Richard Wagner wälzt man sich manchmal wie auf einer von Salvador Dalí ausgestatteten Orgie für Fortgeschrittene. Bild: Candy Welz
Eine eher farblose Ausstattung, eine mitunter allzu brave Lesart: Wie es kommt, dass man den „Tannhäuser“ trotzdem selten besser gehört hat als am Deutschen Nationaltheater in Weimar.
Tannhäuser ist ein Held in der Midlife-Crisis. Alles schon dagewesen, alles schon gehabt – Erfolg, Sozialprestige, Frauen. Nun geht ihm sogar seine Geliebte Venus auf die Nerven. Schon dass sie ihn fragt, wo sein Sinn weilt, ist ein Alarmsignal. Burnout, ihm ist alles zu viel. Säße man wie er in der Weimarer Inszenierung von Richard Wagners „Tannhäuser“, kann man das verstehen. Die Venusgrotte des Regisseurs Maximilian von Mayenburg ist voll nackter Wonneproppen, die sich erst aus ihren Ballon-Eizellen schälen müssen, um sodann unter Venus’ Rock zu schubbern. Eine rote, glitschige Angelegenheit in Latex, aber immerhin abwaschbar. Da müsste man mal mit dem Kärcher durch, mag sich Tannhäuser denken. Er will jedenfalls nur noch weg.
Das ist doch mal ein Anfang: Dort, wo andere Opernplots sich hinsehnen und wofür sie bereit sind, große Opfer zu bringen, ist der Tannhäuser schon gewesen. Was soll danach noch kommen? Nun, eine Menge. Denn, und das hat schon Friedrich Nietzsche bei aller Wagner-Skepsis erkannt: Es sind immer die interessantesten Sünder, die durch die Unschuld erlöst werden. Indem Wagner seine Oper beginnen lässt, wo andere gern hinwollen, ist das Spannungsfeld von Überreizung und Purismus eröffnet, zwischen deren Polen sich Musik, Szene und Figurentableau bewegen. Der Komponist selbst wurde nie ganz fertig damit, immer wieder änderte er, ergänzte, strich und gruppierte um. Eine Fassung letzter Hand existiert nicht, Tannhäuser entzieht sich den Eindeutigkeiten wie seine Partitur dem Urtext.
Angenehm brav, manchmal allzu brav
Schon das melodiensatte Vorspiel ist keine pompöse Junghelden-Nummer. Kirill Karabits dirigiert sie in Weimar mit feinem Gespür für ihre lyrischen Adern, für Sog und Zaudern, für ihre Uneindeutigkeiten, für ihre reife und dennoch nicht überreife Musik. Die Weimarer Staatskapelle gehört überhaupt zu den Orchestern, die Wagners melodische Transparenz und harmonischen Tastsinn ausleuchten können wie kaum ein anderes deutsches Ensemble. An diesem Abend gelingt das par excellence, vor allem dort, wo die Szene ruht und die Musik weniger gesangstragende denn autarke Funktion hat. Etwa am Ende des ersten Aktes, wenn musikalisches Auf- und Abschmelzen nurmehr hauchend in die A-cappella-Einlage der Sänger überleiten. Oder zu Beginn des dritten Aktes, wo sich in langen, weichen Linien der Tag zum Abend und die Szenerie zum Herbst neigt. Der Chor der zurückkehrenden Pilger wird von einem ätherischen Crescendo wie auf Wolken über die sanften Waldeshügel nach Hause geleitet – solche orchestralen Delikatessen machen den Weimarer Tannhäuser-Klang aus. Das ist nichts für vorlaute Kinder-Dirigenten, dafür müssen reife Männer ans Pult, die schon gelitten haben.
Nach der Latex-Grotte im Venusberg, die Sayaka Shigeshima (Venus) sängerisch wunderbar unschlüssig zwischen „Zieh hin, Betörer!“ und „Kehr wieder!“ erbeben lässt, bleibt das Bühnenbild (Stephan Prattes) eher minimalistisch. Nur die lange, dünne Treppe hinauf in schwindelnde Höhen bleibt stehen, auf der die Pilger samt Tannhäuser später gen Rom wandern. Auch sonst ist die Ausstattung farblos. Kein Wald, keine Burgen, keine Ruhmeshallen, keine Rüstungen, keine Wappen, keine Fackeln. Früher war definitiv mehr Lametta. Allerdings wird auf die Art das uns heute unangenehm berührende „Thüringens Fürstenheil!“-Gesinge neutralisiert, ganz so, als stamme es nicht von dieser Welthistorie mit ihrer national-barbarischen Überspannung, sondern eben nur von einem Chor sonnenbebrillter Schwarzweißbilder auf Plateausohlen. Die Regie hat sich angenehm brav, manchmal allzu brav für eine distanzierte Lesart des Stückes entschieden, keine überdrehte Wartburg-Sex-Kommune, kein Venus-Pornoclub, keine Irrenklinik, wie so oft. Zweideutigkeiten werden von hochgeschlossenen Kostümen und karger Ausstattung gebannt. Das hat etwas für sich.
Was sind denn das für himmlische Aussichten?
Ob es allerdings nötig ist, den Sängerwettstreit mit Klamauk-Einlagen à la Helge Schneider an einem auseinanderfallenden Klavier zu überzeichnen, sei dahingestellt. Ironisierende Distanzierungen wie diese wirken eher als interpretatorische Hilflosigkeit. Ist das Mittelalter selbst in der romantisierten Lesart Wagners tatsächlich schon zu lange her, um es heute zu vermitteln? Schließlich geht es bei dem Sängerkrieg, wie der Name schon sagt, um die Wurst, konkret: die Hand der Landgrafen-Tochter und damit um nichts weniger als die Zukunft Thüringens. Merkwürdig auch, wenn der Wettstreit, in dem wohl zu viel über brünstige Liebe gesungen wurde, kurz in eine enthemmte Meisterswinger-Szene umschlägt. Dankenswerterweise sorgt Tannhäuser mit seinem Outing, wer nicht wie er im Venusberg gewesen sei, könne in Sachen Genuss sowieso nicht mitreden, rasch für einen Coitus interruptus.
Die sängerischen Höchstleistungen ab dem zweiten Akt überragt Camila Ribero-Souza (Elisabeth) mit ihrem ebenso leuchtend-starken wie weich-flexiblen Timbre der opferbereiten Jungfrau. Ihre „Ich fleh für ihn!“-Arie des zweiten Aktes bildet zusammen mit der vom Orchester zart getragenen Sterbearie „Allmächt’ge Jungfrau, hör mein Flehen!“ die Höhepunkte ihrer Darbietung. Das hat man beides selten besser gehört. Corby Welch als Tannhäuser zeigt einen starkbrüstigen Helden-Tenor, lässt aber noch die nötige Klangreife vermissen. Wie bei dem eher lyrischen denn Kavalier-Bariton von Uwe Schenker-Primus (Wolfram von Eschenbach), der am Ende ganz entgegen seiner Natur Tannhäuser erwürgen darf, lassen seine Kräfte im dritten Akt spürbar nach.
Im großen, friedvollen Schlusstableau ist Venus verschwunden, Wolfram verwirrt, Tannhäuser tot und Elisabeth im Himmel zu sehen, neben einer Venus-Latex-Blase. Das Ewig-Weibliche? Jedenfalls wird Tannhäuser, wenn er oben anlangt, von diesen himmlischen Aussichten wenig begeistert sein, so viel steht fest.