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Die Gefangenen

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Das Gehege: Ángeles Blancas Gulín und Georg Nigl.
Das Gehege: Ángeles Blancas Gulín und Georg Nigl. © Bernd Uhlig

Andrea Breths großes, ernstes Dallapiccola-Rihm-Doppel in Stuttgart.

In eine nicht nur durch das schließlich etwas penetrante Stroboskoplicht flirrende Beziehung setzt ein Opernabend in Stuttgart nun Luigi Dallapiccolas „Der Gefangene“ (1949 uraufgeführt) und Wolfgang Rihms „Das Gehege“ (2006 uraufgeführt). In einer so minuziösen wie sparsamen Inszenierung der hier als Großmeisterin der grundlegend klugen Regie auftretenden Andrea Breth erlebt man zwei existenzielle Situationen von Eingesperrtsein. Und zwar so fundamental und dabei individuell in der jeweiligen Umsetzung, dass man als Außerirdischer den Menschen in seinem Leiden und Sein wirklich kennenlernen könnte. 

Dramaturgisch ist das ein Coup in einem Musiktheaterbetrieb, in dem Kurzopern nicht zuletzt durch mangelnden Ideenreichtum mit Blick auf ansprechende Kombinationen Raritäten bleiben – obwohl sie kürzer werdenden Aufmerksamkeitsspannen so offensichtlich entgegenkommen und man auch musikalisch eine Menge riskieren kann, wie sich in Stuttgart wieder zeigt. Unter dem präzisen, die zum Teil enormen Aufwallungen klug im Zaum haltenden Dirigat von Franck Ollu, der im Januar auch die Premiere dieser Koproduktion in Brüssel geleitet hat, ist tatsächlich zu hören: Wie sich Dallapiccolas Zwölftonmusik logisch an Puccini anschließt, ganz italienische Oper. Und wie Rihms regelrecht losgelassene Musik doch „schön“ zu nennen ist. Der Sängerin wird hier von Rihm eine Virtuosität in der Lautproduktion abverlangt, die erschreckend ist, bei der sensationellen Ángeles Blancas Gulín klingt das aber geschmeidig und beiläufig.

Eingesperrtsein: Dallapiccolas „Il prigioniero“ geht auf eine Erzählung zurück, dessen Hauptfigur – im Umfeld von spanischer Inquisition und Geusen-Aufstand – im Kerker auf weitere Folter und Tod wartet. Seine Mutter klagt, ein diabolischer Kerkermeister lockt als vermeintlicher Tröster. Dass Dallapiccolas Werk die nachfaschistische italienische Gesellschaft besonders bewegte, erstaunt nicht, die Machtausübung gegen das Individuum ermöglicht auch heute Assoziationen. Andrea Breth aber verlässt sich auf die Kraft ihrer schockierend ruhigen Bilder und Konstellationen. 

Die Mutter, ebenfalls Blancas Gulín, ist ein bleicher singender Kopf, ein riesiger Mund in Martin Zehetgrubers hier noch pechschwarzer Bühnennacht. Der Gefangene, Georg Nigl, sitzt dann in einem Käfig, wie er zur Quälerei verwendet werden kann. Nachher vervielfachen sich die Käfige: alptraumhaft, aber auch wie im Foltergefängnis. Nigel kann und darf nicht viel machen, aber er ist ein Mensch, ein empfindlicher, mit einem intensiven, beweglichen Bariton (Mensch und Stimme haben 2014 auch durch Breths Stuttgarter „Jakob Lenz“ getragen). 

Kurze Dunkelheit dient zur jeweiligen Herstellung neuer Konstellationen: Der Wärter – der fahl flüsternd singende John Graham-Hall – im Kerker oder außerhalb des Kerkers; die Tür verschlossen oder offen; der Wärter über den Gefangenen gebeugt; beide an das Käfiggitter gelehnt – das sind nicht nur für sich starke Bilder, sie nehmen auch voraus, was im zweiten Teil unter anderen Vorzeichen zu sehen sein wird. Es gelingt eine Stilisierung und Verallgemeinerung der Angst, des Ausgeliefertseins, die weder schön ist, noch etwas verharmlost, zugleich aber auf jede direkte Anspielung verzichtet. 

Hilfreich die fast neutralen Kostüme Nina von Mechows, die die Priester, Julian Hubbard und Guillaume Antoine, als solche erkennbar machen, aber nicht genau einordnen. Am Schluss ziehen die beiden den Gefangenen an langen Seilen zum (außerhalb der Bühne befindlichen) Scheiterhaufen. Ein kleines, gemeines Lächeln des einen lässt noch in der 8. Reihe zittern. Breth weiß, wie man tödlichen Ernst vermittelt und welche Größe ein Lächeln dafür haben muss. Genau diese.

Eingesperrt, aber anders: Nach der Pause zeigt das Bühnenbild eine labyrinthische Voliere, das Gitterwerk ist nun breiter. Man kann darin klettern, auch ist es, als wäre eine Kamera näher herangezoomt. Rihms „Das Gehege. Eine nächtliche Szene“ geht auf einen Ausschnitt aus Botho Strauss’ „Schlusschor“ zurück, ein komplexes, seinerzeit (1991) auch mit einiger politischer Aufregung rezipiertes Werk, das hier nicht vereinfacht, aber ebenfalls ins Überzeitliche vergrößert wird. Eine Frau sucht im nächtlichen Zoo einen (stumm bleibenden) Adler auf, lockt und reizt ihn, es geht um Lust und Angst, auch hier um Machtausübung, schließlich um Mord. Es geht um eine überraschende Erotik, die Breth und Blancas Gulín in ungeheurer und doch leichthändiger Intensität umsetzen. Die Männer des ersten Teils treten wieder auf (keine Statisten, der Effekt ist enorm, weil sich alles mit allem verbindet und stumme Opernsänger besonders stumm erscheinen). Manchmal sieht man ihre Gesichter, manchmal tragen sie Vogelmasken, auch Vogelflügel. 

Wie im „Gefangenen“ entstehen – nun in den Sekunden, in denen das Stroboskoplicht flackert – immer wieder neue Tableaus. Der Tänzer Michael Guevara Era steht der Frau für ein Pas de deux zur Verfügung, auch für einige der erstaunlichsten Hebefiguren, die man in der Oper bieten kann. Hat Anja Silja einst mit dem Kopf nach hinten gesungen, so singt Blancas Gulín mit dem Kopf nach hinten, dabei aber auf dem Rücken über den Schultern des Tänzers liegend. Alles geht dabei langsam vor sich, heillose Versuche von Verschlingung und Nähe. 

Die Stimme der Frau ähnelt zunehmend der Stimme eines Vogels. Die Tötung des Adlers hat eher Züge einer Aneignung und Metamorphose. Hauchzart (aber vorhanden) die groteske Seite, unendlich die Traurigkeit und auch hier der Mut, ernst und konzentriert zu sein. Ein großer Abend, der vom Publikum offenbar auch so wahrgenommen wurde.

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