Eine tiefempfundene hehre Liebe, die nach einem vielversprechenden Auftakt in Irrrungen und Wirrungen mündet und schließlich aufgrund von niederen menschlichen Motiven im tragischen Tod des jungen Liebhabers gipfelt. Das klingt wie der typische Stoff für eine italienische Opera seria des 19. Jahrhunderts. Wie sähe wohl die optimale Besetzung für diese leidenschaftliche Geschichte aus? Man nehme einen brillanten Koloratursopran und einen strahlenden Heldentenor, besser noch einen Tenore di grazia, wie zum Beispiel den ewig jugendlichen peruanisch-österreichischen Tenor Juan Diego Flórez, und als Sopran vielleicht die slowakische Nachtigall Edita Gruberová? Obwohl sie diese Saison bereits ihr 50. Bühnenjubiläum feiert, funktionierte es hervorragend, als diese beiden Operngrößen die ungewöhnliche Liebesgeschichte Lucrezia Borgia von Gaetano Donizetti auf die Bühne der Bayerischen Staatsoper brachten.

Das Libretto von Felice Romani nach dem Drama Lucrèce Borgia von Victor Hugo ist schnell nacherzählt: Der junge Gennaro verliebt sich in eine adelige Dame, von der ihm seine Freunde offenbaren, dass es sich um die grausame Lucrezia Borgia handelt. Gennaro zerstört, provoziert von seinen Freunden, Lucrezias Wappen am herzoglichen Palast. Ohne zu wissen, wer das Wappen geschändet hat, ringt Lucrezia ihrem Gatten, dem Duca d’Este Don Alfonso, das Versprechen ab, den Schuldigen zu vergiften. Als sie erkennt, dass es sich um Gennaro handelt, der in Wirklichkeit ihr Sohn ist, gibt sie ihm heimlich ein Gegengift. Lucrezia lässt sodann Gennaros Freunde vergiften aus Rache dafür, dass sie Gennaro vor ihr gewarnt haben. Doch auch Gennaro trinkt den vergifteten Wein. Er weigert sich, noch einmal das Gegengift zu nehmen und erfährt sterbend, dass Lucrezia seine Mutter ist. Diese Geschichte ist romantisch im wahrsten Sinne, denn schließlich suchten die Romantiker des 19. Jahrhunderts eher nach biographischen Brüchen, Rissen und Widersprüchen als nach den kitschigen romantischen Geschichten Hollywoods.

Die Zerrissenheit der Lucrezia Borgia, welche womöglich zum ersten Male in ihrem Leben tiefe Liebe empfindet, und die unreflektierte archaische Liebe ihres erwachsenen Sohnes zur viel älteren Grande Dame – dieser in der konventionellen Gesellschaft unüberbrückbare Spannungsbogen zwischen zwei Generationen hätte nicht besser dargestellt werden können als von Edita Gruberová und Juan Diego Flórez. Edita Gruberová muss die Rolle der Diva einer bereits vergangenen Opernepoche schließlich gar nicht spielen, sie ist eine ihrer letzten noch konzertierenden Vertreterinnen. Und Flórez ist eben auch kein typischer selbstbewusster Heldentenor, sondern einer der weltbesten Tenore di grazia, einer selten anzutreffenden Gattung, die unbekümmert und mit schier grenzenloser Leichtigkeit die schwierigsten Passagen des Opernfachs meistert. Die Entwicklung des Gennaro vom unbekümmerten jungen Verehrer zum zerrissenen tragischen Helden verkörperte Flórez dank seiner natürlichen schauspielerischen Begabung äußerst überzeugend; sängerisch war er ohnehin eine Klasse für sich. Gruberová brillierte ebenfalls mit eleganten Skalen und Koloraturen. Lediglich in den melodramatischeren Passagen merkte man ihrer Stimme hie und da den Verschleiß von 50 Jahren Bühnenstress an. Doch wie sie die Szene am Ende des ersten Aktes schauspielerisch und sanglich darstellte, als Lucrezia Borgia ihren Ehemann Don Alfonso noch ein letztes Mal umzustimmen versucht, Gennaro nicht zu töten, das war hinreißend authentisch, so als könnte man dieses bezirzende Werben gar nicht sprechen, so als müsse man es singen wie Gruberová eben.

Der Bariton Franco Vassallo gab einen großartigen Don Alfonso. Stets in vollendeter Kontrolle seiner dunklen voluminösen Stimme, spielte er den eitlen, vor Zynismus und Diabolik strotzenden Despoten tiefgründig und unterhaltsam zugleich. Auch der italienischen Sopranistin Teresa Iervolino lag das Publikum für ihre Deutung des Maffio Orsini zu Füßen. Iervolino gibt mit dieser Hosenrolle ihr Debüt an der Bayerischen Staatsoper und man darf sich schon auf viele weitere Engagements freuen, in der sie ihre kraftvolle und warme Stimme in die Kuppel der Münchner Oper fluten lässt. Ihre Duette mit Flórez im letzten Akt hätten überzeugender nicht gesungen und gespielt werden können.

Die Inszenierung von Christof Loy ist eher nichtssagend. Ein karger Bühnenaufbau, der nur aus einer weißen Palastwand besteht, die im Laufe des Abends immer mehr in die Seitenbühne verschwindet und auf der in großen Lettern der Name „Lucrezia Borgia“ prangt. Wie diese Lettern nach dem Prolog zur Leuchtschrift werden, nachdem vorher die wütende Meute Gennaro offenbart hatte, dass es sich bei seiner Angebeteten um La Borgia handelt und in diesem Moment auch das Bühnenlicht gleißend scharf wird – das war eines der wenigen Highlights der (Licht-)Regie. Das Bayerische Staatsorchester unter dem erfahrenen Friedrich Haider begleitete souverän, von einigen Konzentrationsschwächen abgesehen.

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