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Housten, wir haben (k)ein Problem!
Von Joachim Lange / Fotos von Matthias Baus
Mit der letzten Vorstellung der mittlerweile hochdekorierten Opernnovität Wahnfried nutzte man in Karlsruhe geschickt einen Brückentag während einer zyklischen Aufführung des neuen hauseigenen Nibelungen-Rings. Das passte natürlich wie maßgeschneidert: Zu einem Ring von vier verschiedenen Regieteams eine Reflexion über den legendär zerstrittenen Wagnerclan. Als Endlossoap. Samt prominentestem braunen Wagnerverehrer: Adolf Hitler als Tenorpartie - das gibt's auch nicht alle Tage. Noch dazu, wenn ihm ein 1975 in Tel Aviv geborener Komponist die Musik dazu geschrieben hat. Für den Amerikaner Avner Dorman ist es die erste Oper. Es dürfte nicht die letzte sein. Wahnfried ist auch der erste Auftrag, den Peter Spuhler in seiner seit 2011 bislang ziemlich erfolgreich laufenden Intendanz vergeben hat. Wobei er mit der Auswahl der Librettisten Lutz Hübner und Sarah Nemitz das Risiko ins Grenzen hielt.
Das Libretto jedenfalls, mit dem ein paar Jahrzehnte Wagner-Nachleben in der Villa Wahnfried und dem ganzen Erdkreis beleuchtet werden, ist nicht nur anspielungsreich, es hat auch Witz. Das "Housten, wir haben ein Problem!", das der Wagnertochter Eva mitten im schönsten Familienstreit um die Nachfolge von Cosima auf dem Bayreuther Thron in Richtung ihres Ehemanns entfleucht, mag ja etwas kalauernd daherkommen, aber es passt. Während dieses Zitat ein reines Wortspiel ist, das mit unserem kollektiven Filmgedächtnis spielt, hat das ganze Unternehmen auch einen inhaltlich echten personellen Bezug zu Karlsruhe. Richard Wagners jüdischer Parsifal-Uraufführungsdirigent Herman Levi, der wie schon in Barrie Koskys Meistersinger-Inszenierung vorigen Sommer in Bayreuth seine Auftritte im Stück hat, war acht Jahre Hofkapellmeister in Karlsruhe. Und ist jetzt auch der Namensgeber für den nach ihm umbenannten Platz vor dem Staatstheater. Auch eine Art von Gesamtkunstwerk. Der Meister ist gestorben!
"Ich habe seinen Blick gespürt." sagt Wagners Schwiegersohn, der englische Rassen"theoretiker" Housten Stewart Chamberlain, bezogen auf Wagner, und das klingt wie die perverse Leidenschaft Salomes. Die Wagnerianer schwadronieren hier drauf los: "Wir kennen keine Nationen mehr. Wir sind nur noch Wagnerianer" und erinnern damit an eines der überlieferten markigen Worte von Kaiser Wilhelm II. Wenn Chamberlain zu seinem Lobpreis der arischen Rasse anhebt und sagt: "Ich will zu euch sprechen vom Gang der Geschichte, von allem was war, und von allem, was kommt. Von denen im Dunkeln, von denen im Lichte, von dem was euch nottut, von dem, was euch frommt", dann ist dieses Wagnerkauderwelsch trotz allem, was dann über den Arier als solchen noch folgt, von bösem, hintergründigem Witz. So wie in der zehnten Szene, wenn er sich bei Cosima einschleimt. Das klingt dann so: "Ich übergebe der Flamme Nietzsches Briefe. Ins Feuer die Briefe an Cosima, ins Feuer alles, was nicht unser Wagner ist, und was Wagner ist, bestimme ich." Wenn die Wagnerianer rufen: "Donnerhall mit lautem Schall! Ein Meister aus Deutschland!", dann schwingt auch da der doppelte Boden mit und ergänzt den Tod, der seit Paul Celan vor diesen Meister gesetzt ist. So geht das durchgängig. Es lohnt, den Text einfach mal zu lesen. Mit der kraftvoll und phantasiereich anspielenden, höchst theaterwirksamen Musik von Dorman zusammen aber beginnt er zu funkeln und zu leuchten. Der Dämon Wagner
In der Inszenierung von Keith Warner und in Tilo Steffens Bühne, die an die des Bayreuther Festspielhauses bzw. den Blick von dort in den Zuschauerraum erinnert, blitzen tatsächlich auch mal echte Bühnenfeuer zwischen den diversen Wagner-Dekorationen auf. Da spuckt ein Drachen Feuer, da wirft ein Bakunin seine anarchistischen Brandsätze. Und reflektiert damit metaphorisch den absurden Boulez-Aufruf vom In-die-Luftsprengen der Opernhäuser in die Vergangenheit. Überhaupt ist der ganze Abend ein Anspielungsfeuerwerk vom Feinsten. Auf die historisch verbürgten Vorlagen der Geschichte vom Wagnerclan und auf unsere Bilder davon. Gegensätze: Levi und Chamberlain
Keith Warner entfesselt dabei das (Wagner)Theater und spielt mit seinen Zutaten. Wenn die Oper beginnt, ist der Meister gerade dahingeschieden. Im Trauerzug wird sein Flügel zum Katafalk. Persönlich vertreten wird er fortan von einem Wagnerdämon (Armin Kolarczyk) mit grinsender Horrorclownsmaske. Mittendrin im Wagner-Panoptikum: Cosimas (Christina Niessen) erhabene Gestalt; Stammhalter Siegfrieds (Counter Andrew Watts) Verdruckstheit bei seinen amourösen Abenteuern mit Männern im nächtlichen Park; Hermann Levis (Renatus Meszar) innerer Zerrissenheit und Leidensfähigkeit, als Liebhaber der Parsifal-Musik gebraucht und als Jude verachtet zu werden; das Abservieren der unehelichen Wagnertochter Isolde (Joo-Anne Bitter) - all das kommt vor. Vor allem Houston Stewart Chamberlains (als Hauptrolle: Matthias Wohlbrecht) Eifer, seinen Rassenschwachsinn an den Mann zu bringen, womit er bei der "Hohen Frau" in der Villa Wahnfried kein Problem hatte. Für die war er ein Messias, wie dann Hitler (Eleazar Rodriguez) für Winifred (Ina Schlingensiepen). Natürlich kommen auch die beiden zu Worte und haben ihren Auftritt.
In Karlsruhe ist ein hinreißend grotesker Wagner-Wahnsinn auf der Bühne zu erleben, der das Zeug hätte, jedem Ring-Projekt einen Rahmen zu geben und den Blick für Wagner und die Folgen zu schärfen. Nicht nur, aber auch in Bayreuth. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Kostüme
Video
Chor
Licht
Dramaturgie
Solisten
Houston Stewart Chamberlain
Cosima Wagner
Anna Chamberlain, Houstons erste Ehefrau
Siegfried "Fidi" Wagner
Winifred Wagner, seine Frau
Eva Chamberlain, Houstons zweite Ehefrau
Wagnerdämon
Der Meisterjünger (Hitler)
Hermann Levi
Der Kaiser
Bakunin
Isolde Wagner
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