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Der Mann, der nicht widersteht

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„Argo“, eine Oper über den von Sirenen verführten Butes, fabelhaft auf die Bühne gebracht in Mainz.

Ein guter Einfall, sich einmal nicht mit Odysseus und seinem Widerstehen gegen die Sirenen-Verführung zu beschäftigen, sondern mit demjenigen, der der Versuchung nachgibt. Zwei Sätze nur sind bei Homer dem Ausstieg Butes’ aus dem Kreis der sich wehrenden Schiffsbesatzung gewidmet. Aber das Libretto von „Argo“, der Oper von José Maria Sánchez-Verdú, das Gerhard Falkner verfasst hat, macht die Regression von Butes zum Zentralthema des 90-minütigen Werks.

Es hatte vor kurzem seine Uraufführung bei den Schwetzinger Festspielen und jetzt in gleicher Inszenierung und Besetzung Premiere am Kleinen Haus des Staatstheaters Mainz. Regie führte Mirella Weingarten, die den geschwollenen, die Bedeutung der Haltungen der Akteure jenen immer gleich in den Mund legenden Text visuell entkrampft hat. Die Bühne, ein nüchterner dunkler Kubus mit einem Bassin in der Mitte, wo sich zu Beginn vier nackte Frauen im fahlen Licht wie in Zeitlupe bewegen.

Wie Menschenrobben oder Henry-Moore-Plastiken, auch an Arnold Böcklins „Im Spiel der Wellen“ mochte man denken. Am Ende wird Butes in dem Bassin liegen – hingegeben seinem Liebestod: „meine Augen rollen, steinaltes Meer / gischtiges Gebrünst, Wasserflamme, oh du ewig versackende Küste / nimm mich auf“.

Opponentin der Männer an Bord ist Aphrodite, Maren Schwier, ein in riesenhafter Haarfülle gekleidetes Wesen. In einem großartigen Bild wird sie einmal wie ein Wellenkamm auf den sich unter ihr auf- und abbewegenden Rücken der Mannschaft liegen. Da ist die Bühne schon zu einer Art mythogenem Darkroom gewandelt, wo ein gefesselter Odysseus und zu Skulpturen erstarrt wirkende andere Mitglieder der Mannschaft sich befinden.

Die Regisseurin hat manche Momente der Ästhetik Robert Wilsons aufgegriffen: gestische Erstarrung, extrem langsame Bewegung, filmisch wirkende Stills. Und vor allem das Licht (Ulrich Schneider), das als gestaltbildendes Element eigensinniger Akteur wird. Großartige op-artige, licht-kinetische Eindrücke gelingen, die teilweise auch das Auditorium als erweiterten und mitschwingenden Raum einschließen. Unglaublich dabei die Unsensibilität, in der vierten Reihe mit leuchtend hellem Notenpult, Computerbildschirm und Mischpult-Lämpchenphalanx für alle dahinter sitzenden Zuschauer den Büheneindruck massiv zu stören.

Drei große, posaunenartig geformte, an beiden Seiten mit Schalltrichtern ausgestattete Instrumente schweben als akustisches Mobile in diesem agonalen Raum grundlegender Positionierungen um die Festigkeit des Ich, um Wirklichkeit und Selbsterhaltung. Markante Klang-Objekte von Sabrina Hölzer, die kreiselnd unzentrierte, distinktionslose Raumfüllung schaffen.

Die Musik des 1968 geborenen Spaniers scheint auf der Seite von Odysseus und Orpheus zu stehen, der sich im Text „der Sänger des rettenden Gesangs, Bezwinger wüster Klänge / Sowie der wilden Klänge“ nennt. Ein recht gefesselter, in zentraltönigen Mikromodulationen sich gemächlich aufschaukelnder und wieder abebbender Prozess meist gedämpfter Virulenz mit einigen klanggeräuschhaften Rauigkeiten und selten aufleuchtenden fluiden Hochtönen. Reizvoll die Momente eines klingenden nautischen Kosmos. Im Verein mit den trefflichen Visualisierungen Weingartens war die Musik stimmungssteuernd und verhaltensführend. Manches wirkte dann fast psychedelisch und ambienthaft in der audiovisuellen Synthese und fand so doch noch eine sirenische Anmutung.

Sängerisch und darstellerisch wurde sehr gute Qualität geboten. Der Chor, die Sirenen, die Solisten: alles war minutiös und subtil geführt. Die Stimmen von Jonathan de la Paz Zaens (Butes) und Alin Deleanu (Orpheus) sowie Brett Carter (Odysseus) machten den größten Eindruck. Hermann Bäumer glänzte mit seiner hochgeschätzten Kompetenz als Lotse in den oft diffusen, intransparenten Texturen, denen er mit seinen Musikern des Philharmonischen Staatsorchesters Mainz Profil und Dichte geben konnte.

Staatstheater Mainz: 26. Mai, 2., 6. Juni. www.staatstheater-mainz.com

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