Volksoper: Sex, Schneefall und Ohrwürmer

„Gasparone“ mit kleinen Scherzen: der Fremde (Sebastian Geyer), Carlotta (Mara Mastalir). Später hebt das Boot ab, zum „Fliegenden Holländer“-Motiv.
„Gasparone“ mit kleinen Scherzen: der Fremde (Sebastian Geyer), Carlotta (Mara Mastalir). Später hebt das Boot ab, zum „Fliegenden Holländer“-Motiv. (c) Volksoper Wien / Barbara Palffy
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„Net hinschauen!“, lautet die kuriose Empfehlung bei „Gasparone“ von Carl Millöcker. Trotz vieler schöner Melodien macht die Aufführung wenig Lust auf Operette.


Auf der Bühne drehen sich Betten, montiert auf Hügeln, über die manche Darsteller stolpern werden. Ein Sänger ist kein Akrobat. Nun, Sizilien ist eine bergige Insel, der Ätna über 3000 Meter hoch. Dort liegt Schnee, er rieselt auch am Strand – Klimawandel? – in Olivier Tambosis Inszenierung von „Gasparone“, seit Samstagabend in der Wiener Volksoper zu sehen: Eine typische spätsaisonale Kreation – „für die Pensionisten“, ätzte ein Kritiker. Senioren und andere Fans vom Landleben in der Kleinstadt können demnächst in die Badener Sommerarena reisen und dort den größten Erfolg des enorm produktiven Komponisten Carl Millöcker (1842–1899) begutachten, den „Bettelstudenten“: „Ach, ich hab sie ja nur auf die Schulter geküsst“ – ein klarer Fall von sexueller Belästigung.
Der Kavalier in „Gasparone“ ist diskreter, er singt „Dunkelrote Rosen bring ich, schöne Frau“. Volksoperndebütant Sebastian Geyer sieht in wechselnden Kostümen als Reisender oder Pirat stattlich aus, das ist aber auch alles. Mara Mastalir gibt die Gräfin Carlotta, die dieser geheimnisvolle Fremde umgarnt, es wurden schon Gräfinnen mit mehr Aplomb gesehen – und gehört.


Worum geht's? Um Schmuggler in der Mafiahochburg Trapani. Angeblich treibt dort der Räuber Gasparone sein Unwesen. Tatsächlich wurde dieser erfunden, damit die Kriminellen ungestört werken können. Der Franzose Tambosi gilt seit seiner Zeit an der Neuen Oper Wien, die er 1989 gegründet hat, später war er unter Intendant Dietmar Pflegerl Oberspielleiter am Klagenfurter Stadttheater, als vielseitiger Erfrischer der Musiktheaterregie. Im Radio plauderte er amüsant über seine Anfänge mit Arbeit ohne Gage bis zum Morgengrauen und betonte, dass Operette eine eigene Gattung und keine Miniaturform der Oper sei. Wie wahr!

Manchmal witzig, meistens museal

Bei „Gasparone“, einem Werk mit relativ verwickelter Handlung, sind geradezu Heerscharen von Leuten beschäftigt – und sie agieren recht exakt, wie man es zuletzt von der Volksoper gewohnt ist, aber uninspiriert. Und Tambosis modernistische Inszenierung überzeugt auch nur bedingt. Was haben zum Beispiel die Cancan-Girls auf Sizilien zu suchen? Warum treten in der Liebesszene mehrere Rosenkavaliere auf? Alles in allem, das Zusammenzwingen von Dreißigerjahre-Pep mit Alt-Italianità funktioniert nicht.


Vielleicht war Tambosi schon etwas ermattet. 2013 zeigte er „Gasparone“ im Grazer Opernhaus. Derartiges ist etwas ärgerlich. Könnte man nicht einem jungen Regisseur eine solche Operette anvertrauen? Nein, natürlich nicht, man braucht ja Sicherheit, speziell bei einem solchen Riesenensemble. Diese Aufführung erinnert daran, dass Wiener Theater immer seltener Risken eingehen wollen/können. Andreas Wilkens lieferte ein paar hübsche Bilder (Meer, Mond). Andreas Schüller dirigierte flott und mit einer gewissen Routine. Südliche Romantik will sich nicht einstellen, alles wirkt wie aufgepappt. Einer, dem es richtig Spaß zu machen scheint, ist der Tausendsassa Luigi (Christian Graf). Auch Benozzo (Marco Di Sapia) und Sora (Johanna Arrouas) erfreuen: „Ich bin eine Spanierin! Caramba!“, ruft sie. Ihr Mann ist nie zu Hause. Was macht er? Er schmuggelt. Sie will Sex. „Am schönsten ist die ganze Liebe, wenn dein Luxuskörper unter meinem liegt.“ Aber!
Vor der Pause schleppt sich die Produktion und wirkt sehr museal, danach wird sie etwas ansehnlicher. Die Rolle des korrupten Bürgermeisters wurde einst für Leo Slezak eingefügt, hier spielt sie der ihm ähnlich sehende Gerhard Ernst, der den Schlager „Das waren Zeiten“ vorträgt: „Lacht die süße Maus mich an – oder lacht sie mich aus?“ Ernst verwechselt allerdings Lautstärke mit Wohllaut. „Net hinschauen“ ist ein geflügeltes Wort an diesem Abend, es bezieht sich auf die allgegenwärtige Kriminalität, man könnte es aber auch als Aufforderung verstehen, ein gefahrvoller Spruch also.


Auf YouTube ist Marika Rökk mit Johannes Heesters in Georg Jacobys „Gasparone“-Verfilmung von 1937 zu erleben, teilweise unfreiwillig komisch, aber immer noch mitreißend und musikalisch mit Pfiff versehen vom genialen Peter Kreuder.

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