Ganz große Oper. Das war es, was die glücklichen Zuhörer im altehrwürdigen Klassizismus-Prunksaal der Münchner Staatsoper bei der Wiederaufnahme von David Aldens Semiramide erleben durften. Allen voran war es die naturgewaltige Albina Shagimuratova, die keinerlei Zweifel daran ließ, warum sie bereits jetzt als eine der größten Sopranistinnen ihrer Generation gehandelt wird. Shagimuratova ist mit einer vollendet schönen, elastischen und zugleich warmen Stimme gesegnet, die einen betörenden Schmelz besitzt, der wohl dosiert auch divenhaften Pathos zu transportieren vermag.

Jeder Ton ist vom ersten Ansatz bis zum Verklingen absolut perfekt gestaltet und so rein intoniert, dass die Stimme bei Passagen, in denen sie im Gleichklang mit Orchesterinstrumenten singt, vollkommen mit dem Obertonspektrum dieser Instrumente verschmilzt. Eine derartige Perfektion hört man so selten, dass es einem alleine deshalb schon den Atem verschlug. Hinzu kommt eine hellwache Wahrnehmung des dramatischen Geschehens auf der Bühne, das die russische Sängerin auch schauspielerisch glänzen ließ. Sie spielte sich nie in den Vordergrund, sondern wirkte allein aufgrund ihrer Präsenz und natürlich ihrer stimmlichen Gewalt, nahm sich jedoch stets zurück, wenn anderen Rollen die Führung in die Partitur gelegt war. Betrachtet man die wohlüberlegte Entwicklung der von ihr bis dato gesungenen Partien und den damit einhergehenden Reifeprozess, so kann man schon heute sagen: Albina Shagimuratova ist ein seltenes Ausnahmetalent, das nur alle Jahrzehnte einmal vorkommt und von der wir noch viel hören werden.

Neben Shagimuratovas technisch brillant gesungenen und zugleich abwechslungsreich gestalteten Soloarien waren es vor allem die Duette mit Arsace, die alles enthielten, was man sich von ganz großer Oper wünscht. Das menschliche Schicksal mit all seinen Facetten verdichtet in höchsten musikalischen und dramatischen Ausdruck, Projektion des eigenen Daseins in der Transzendenz vollendeter Ästhetik. Wie Mutter und Sohn (als Hosenrolle) in der siebten Szene im zweiten Akt fordernd, bittend, verzweifelt und innig liebend ihr Los besangen, das war trotz minimaler stimmlicher Ermüdungserscheinen bei Daniela Barcellona (Arsace) Opern-Optimum. Wer da nicht eine Träne verdrückt, wenn die Mutter den Sohn anfleht, sie zu töten und so die unsühnbare Schuld zu beenden, der hat ein Herz aus Stein. Barcellona ist mit ihrem dunklen Bel-Canto-Mezzosopran und ihrer kraftvollen Erscheinung die perfekte Besetzung für die Rolle des Arsace. Auch wenn ihre Stimme in der Höhe teils etwas ledrig klang, was man häufig bei tiefen Mezzosopranistinnen antrifft, war sie doch immer äußerst ausdrucksstark und gehaltvoll. Eine Eigenart der tiefen Registerstimmen Mezzo, Alt, Bariton und Bass ist normalerweise auch die etwas größere stimmliche Trägheit. Nicht so bei Daniela Barcellona. Verblüffend, wie leichtfüßig und perfekt kontrolliert sie die trickreichsten Koloraturen meisterte.

Der Bassbariton Alex Esposito als Assur genügte da schon eher dem klassischen Bild des vergleichsweise behäbigen, aber nicht minder ausdrucksstarken Vertreters tiefer Gesangsregister. Seine ganze dramatische Gestaltungskraft konnte er in der neunten Szene des zweiten Akts unter Beweis stellen. Mit überwältigendem stimmlichen und schauspielerischen Pathos holte Esposito die furchtbar schauerliche Todesvision des Assur auf die Bühne. Er warf sich halluzinierend auf den Boden, zerrte sich an den eigenen Haaren wieder hoch, nur um erneut vom Faustschlag seines vermeintlichen Widersachers dahingerafft zu werden. Selbst bei dieser pantomimisch-sportlichen Höchstleistung wusste er noch klangschön zu intonieren.

Michele Angelini (Tenor) gab den Idreno anfangs noch etwas farblos, lief aber spätestens in seiner großen Kolloraturarie der sechsten Szene des zweiten Akts zu Höchstleistungen auf. Zwar konnte er nicht immer die stimmliche Spannung aufrechterhalten, so dass einige Töne leicht zu tief gerieten. Davon lenkt jedoch die lebendige Inszenierung dieser Szene ab, bei der auch Mitglieder des Staatsballetts eine orientalisch anmutende Tanzszene sichtlich amüsiert darbieten. Jacquelyn Stucker (Sopran) sang blitzsauber und herrlich kristallin und spielte die zappelnd zwangsjackenbewehrte Azema so gut, wie es eben möglich war trotz des seltsam anmutenden und bis zuletzt unaufgelösten Regieeinfalls.

Enttäuschend aufgrund der nichtssagenden Regie und der weniger starken sanglichen Leistung war Bálint Szabó als Oroe. Er verpasste ebenso wie der Regisseur David Alden die Chance, diese Rolle als eine der wichtigsten Bindeglieder zwischen den Protagonisten des tragischen Melodrams zu inszenieren. Oroe ist gefangen im Dilemma seines eigenen Machtanspruchs, der er als einziger von Anfang an die Wahrheit kennt und doch jede Lösung, die er mit diesem Informationsvorsprung herbeiführen kann, für ihn unvollkommen bleiben muss. Nicht umsonst wurde die Rolle des Oroe durch den Librettisten Gaetano Rossi im Vergleich mit der Vorlage von Voltaire zur eigentlichen tragischen Figur der Oper hochgeschrieben. Denn eigentlich ist die Geschichte der Semiramide keine tragische; schließlich bekommt jeder, was er verdient. Eine von etlichen im Libretto angelegten Spannungen, an denen sich Alden hätte abarbeiten können. Stattdessen aber belässt er es bei der gleichwohl hochaktuellen Persiflage eines totalitären und ideologisch aufgeladenen Machtapparats im Stile eines Nordkorea.

Vom ersten bis zum letzten Ton an wunderbar kompakt und doch vornehm elegant musizierten die hochkonzentrierten Musiker des Bayerischen Staatsorchesters unter dem beherzten Dirigat des erfahrenen Antonello Allemandi. Besonders gefielen die Hörner, aber auch der Rest des Ensembles ließ keinen Zweifel daran, warum die Bayerische Staatsoper in jeder Hinsicht zu den größten Opernhäusern der Gegenwart gehört.

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