Christian Gerhaher (Amfortas) pflügt als König mit Wunde und Schwert über die Münchner Bühne, als wäre die Gralsburg die sturmgepeitschte Heide des armen, alten König Lear.

Foto: Ruth Walz

Nikolaus Bachler liebt die große Show. Ist ja auch in Ordnung für den Chef der Bayerischen Staatsoper in München. Wenn er die großen Namen will, bekommt er sie. Und wenn er die alljährlichen Opernfestspiele (ein Monat Leistungsschau) startet, dann ist Wagners Parsifal gerade recht. In Luxubesetzung.

René Pape ist (wie schon in Wien) der eloquente, hochsouveräne Fels in der Brandung. Jonas Kaufmann ein gestaltender Parsifal, der sein manchmal gaumiges Aroma im Griff und in den entscheidenden Momenten genügend Strahlkraft hat, um zu faszinieren. Bei "Amfortas! Die Wunde!" beglaubigt er den einen, auch optisch dramatischen Augenblick überzeugend.

Nina Stemme ist seit ihrer Wiener Kundry grandios gereift und läuft nicht nur in ihrem Rampendialog mit Wolfgang Koch (Klingsor) zur Hochform auf. Koch erweist sich als Meister des Dramatischen, Höhnischen, Zynischen. Da störte das fehlende Quäntchen Diabolik nicht. Christian Gerhahers Amfortas ist eine Sache für sich. Der liefert eine Studie des Leidensmannes, die man so noch nicht gesehen hat. Er wechselt buchstäblich in jedem Moment die emotionale Erregung, nimmt jede Sequenz für sich und setzt sie zu einer Figur zusammen, die man (ohne Ton) auch für einen King Lear auf der Heide halten könnte.

Im Graben: Noch-GMD Krill Petrenko. Die Münchner lieben den Russen, obwohl er ein Berlin-Ticket in der Tasche und den Chefposten der Berliner Philharmoniker auf der Agenda hat. Bei seinem ersten Parsifal versucht gar nicht erst, den Bayreuther Klang zu imitieren, sondern entfaltet dessen ganze Pracht bewusst durchhörbar. Trotz eines flotten ersten Aufzugs entsteht dennoch nicht der Eindruck von bewusst angeschlagenem Tempo. Natürlich trägt er die Sänger auf Händen.

Verkohlter Wald für Ritter

So weit, so gut. Oder zumindest interessant. Bachler hat dieser Truppe noch einen großen Namen hinzugefügt: Malerstar Georg Baselitz als Ausstatter. Der bleibt zumindest sich selbst treu. Ein verkohlter Wald für die Ritter. In der Mitte archaische Stelen. Bei der Verwandlungsmusik ein paar angeleuchtete Pappengel mittendrin. Im dritten Aufzug steht der Wald dann kopf, und die Baselitz-Welt ist ganz bei sich. Nur eben nicht wirklich bei Wagner.

Im zweiten Aufzug gibt es nur einen Zwischenvorhang und dann eine Mauerskizze mit Riss. Dass der Wald am Ende des ersten Aktes in sich zusammensinkt, weil aus den Bäumen die Luft raus ist, und auf dem Gazevorhang zum Finale eine Taube erkennbar ist, mag Selbstironie des Malers sein. Die albtraumartigen Nacktkostüme unter den den Uniformen der frühen Baselitz'schen "Helden"-Ritter oder die Blumenmädchen mögen ein Hieb gegen den Jugend- und Schönheitskult sein. Dass sich am Ende alle um sich selbst drehen, gleicht einem Statement zum Glauben. Baselitz hat sich vor allem selbst "hinzugefügt", aber nicht wirklich auf Wagner eingelassen. Dieser Art von Verweigerung setzt Regisseur Pierre Audi keinerlei Widerstand entgegen.

Der als Intendant der Amsterdamer Oper äußerst erfolgreiche Audi kapituliert vor der Macht der Bilder. Immerhin muss niemand im Kopfstand singen. Das Produktionsteam kassiert kräftige, ziemlich gut nachvollziehbare Buhs. (Joachim Lange, 29.6.2018)