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Don Giovanni und die nackten Frauen

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Was schließt Don Giovanni eigentlich daraus, dass Elvira in Mannheim ein Kind von ihm hat? Nichts.
Was schließt Don Giovanni eigentlich daraus, dass Elvira in Mannheim ein Kind von ihm hat? Nichts. © Hans Jörg Michel

Das Nationaltheater Mannheim wartet zum Auftakt des Festivals "Mannheimer Sommer" mit einer buntigen, enorm harmlosen Mozart-Lesart auf.

Der neue Mannheimer „Don Giovanni“ stößt unversehens auf das Problem, das Regiewettbewerbe mit sich bringen. Es wird über ein Produkt verhandelt und entschieden, das noch nicht vorhanden ist – anders als einen Wolkenkratzer gibt es eine Inszenierung nicht einmal als Modell. Schwierig. Die 1988 geborene russische Regisseurin Ekaterina Vasileva und ihre Ausstatterin Sonya Kobozeva beeindruckten die Jury des Nationaltheaters so logischerweise zunächst mit ihren Bildideen. „Riesenhafte Stiefel stapften da durch einen Bühnenraum, der von nackten Leibern, Tieren und Dingen prall gefüllt war“, berichtet Dramaturg Jan Dvorák im Programmheft. Zudem sei dies eine der wenigen Einreichungen gewesen, die sich „für den komischen Aspekt der Sache“ interessiert habe.

Auch wenn es sogar eher schwierig erscheint, sich nicht für den komischen Aspekt der Sache zu interessieren, führte dies und sicher mehr als das zu dem Ergebnis, dass Vasilevas Deutschland-Debüt nun das europäische Festival „Mannheimer Sommer“ (vormals Mozart-Sommer, seit diesem Jahr also elastischer gefasst) eröffnete. Mit einer Inszenierung, die die genannten Punkte erfüllte und ganz belanglos blieb, weil Bilder keine Inszenierung sind, sondern bloß Bilder.

Kobozeva orientiert sich an Arbeiten von Francis Bacon, dessen rosafarbenen Nackten auf der Bühne zu einer karnevalistisch wirkenden Schar von Statistinnen in weichen, kugeligen Nacktanzügen. Friedlich scharwenzeln sie um den Don herum. Das Bühnenbild selbst ist ein Bekenntnis zu einer schicken David-Hockney-Welt. Ein wasserloser schwarzgekachelter Pool dominiert. Als es zu Komturs Grab geht, werden auf Stangen montierte schwarze Luftmatratzen hereingefahren. Ein grotesker Anblick, aber auch ein rührend hilfloser Versuch, an einem viel zu harmlosen Bildkonzept festzuhalten.

Vorher geht es schon auf. Warum sollte Don Giovanni sich nicht im Jetset tummeln. Dass die meisten Frauen nackt angezogen sind, dass Donna Annas Unterwäsche zu sehen ist und dass die zarte Zerlina sich eine Abbildung vorgeschnallt hat, auf dem Kreise mit Punkt offenbar große Busen vorspiegeln sollen: Das scheinen in Mannheim die bescheidenen Fantasien Giovannis zu sein.

Thematisiert wird das durch eine wie auch immer geartete Personenführung nicht. Das Ensemble verhält sich im insofern pseudofrechen Dekor herkömmlich. Elvira hat bereits ein Kind, dessen Vater der Titelheld sein dürfte, aber auch das hat nur zur Folge, dass die ohnehin latent lachhafte Figur der liebenden und hassenden Ex mit Kinderwagen und zu beruhigendem Baby noch lächerlicher wird. Die Frage, wie Don Giovanni auf die Nachkommenschaft reagieren könnte, lässt Vasileva einfach aus. Das Interesse der Bäuerin Zerlina an einer schönen, großen Sau (auf Rädern): ebenfalls verständlich, aber wie ein Überbleibsel aus einem Konzept, das hier nichts mehr verloren hat.

Ja, übergroße aufblasbare Beine mit Riesenfüßen schreiten zuweilen über die Bühne. Technisch sicher ein Aufwand, inhaltlich bleibt es vage. Tatsache ist nur, dass Giovanni zum Schluss unter die Sohlen des zu diesem Behuf vorsichtig platzierten Riesenfrauenfußes kommt. Sollte sich hier eine Botschaft über das Verhältnis zwischen den Geschlechtern verbergen, hätte man in den drei zurückliegenden Stunden gerne etwas davon gesehen und erfahren.

Der Musik macht das Sammelsurium zu schaffen, obwohl Dirigent Alexander Soddy von der drahtigen, schön transparenten Ouvertüre bis zum schlanken Finale nach der ebenfalls nicht zu massiven Höllenfahrt sehr gepflegt vorgeht. Nikola Diskic sieht aus der Ferne ein bisschen wie Sting aus und ist in seinem Rollendebüt stimmlich so kultiviert wie in den geschmeidigen Bewegungen. Sein Diener Leporello, Patrick Zielke, flankiert ihn als gutmütiger Purzel mit Pudelmütze. Leporellos Leporello zur kernig vorgetragenen Frauen-Sammlungs-Arie: Dessous. Agil auch die Frauen. Estelle Kruger als Donna Anna, Ludovica Bello als Donna Elvira und Amelia Scicolone als Zerlina bilden ein farblich abwechslungsreiches Sopranistinnentrio. Für all das gab es großen Applaus, für die Regie auch viele Buhs, die den Abend größer machten, als er war.

Nationaltheater Mannheim: 17., 20., 26. Juli. Der „Mannheimer Sommer“ geht bis zum 22. Juli. www.nationaltheater-mannheim.de

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