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„Orlando Paladino“ an der Bayerischen Staatsoper: Ritter mit Hexenstuss

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Nur mit rabiaten Mitteln gelingt es, Rodomonte (Edwin Crossley-Mercer) aus dem Verkehr zu ziehen.
Nur mit rabiaten Mitteln gelingt es, Rodomonte (Edwin Crossley-Mercer) aus dem Verkehr zu ziehen. © Foto: Wilfried Hösl

Die zweite Premiere der Münchner Opernfestspiele, Haydns „Orlando Paladino“, ist ein Riesenschmarrn. Was gar nichts macht.

München - Kritisch wird es, wenn den Dirigenten die Stücke besser gefallen als ihren Kunden. Hans Pfitzners „Palestrina“ gehört dazu, von Christian Thielemann und Kirill Petrenko gleichermaßen in den Himmel gehoben – während Parkett und Ränge regelmäßig komatösen Zuständen entgegendämmern. Auf der anderen, wilderen, ungeschlachteren Seite betrifft das Joseph Haydn. Dessen „Orlando Paladino“, so jubilierte der Ahnvater der Aufführungspraxis, gehöre „zum Besten, was es damals im Musiktheater gab“. Bei allem Respekt vor Nikolaus Harnoncourt: Aufs damalige Opernwesen wirft das kein gutes Licht.

Wenn man sich den Zwitter regietechnisch vornimmt, dieses „Dramma Eroicomico“, dann sind Logik-Experten tatsächlich die falsche Wahl. Insofern geht die Verpflichtung von Axel Ranisch in Ordnung. Der Kino-Mann („Dicke Mädchen“) und TV-Verstörer („Tatort: Babbeldasch“) müht sich gar nicht um Kitt und Stringenz; bei der zweiten Opernfestspiel-Premiere tut er im Prinzregententheater das Gegenteil: Er überschminkt das Stück bis zur Unkenntlichkeit.

Ranisch fängt dort an, wo er sich daheim fühlt, nämlich im Lichtspielhaus. Das ist dank Ausstatter Falko Herold ein Eins-zu-Eins-Nachbau des Neuen Rex in Laim inklusive stummem, dazuerfundenem Besitzerpaar. Gabi, ganz die Resolute, wird ihren Heiko-Bär am Ende an einen schneidigen Kerl verlieren, während sie sich selbst mit einem anderen tröstet. Ob das reale Figuren sind oder nur hormongesteuerte Wunschträume? Die neuen Liebsten entstammen jedenfalls dem Schwarz-Weiß-Streifen „Angelica und Medoro“, der vor schütter besetzten Reihen gezeigt wird.

Zwischen Woody Allen und Monty Python

So aufreizend wie hemmungslos bedient sich Ranisch bei Woody Allens „The purple Rose of Cairo“ und treibt das weiter in eine bajuwarische Variante von Monty Pythons „Ritter der Kokosnuss“. In vorab produzierten Filmen barmt und kämpft das Personal an den Gestaden des Walchensees, es sind die besten Momente des Abends. Auch Heiko taucht in dieser zweidimensionalen Welt auf, erlebt dort sein Outing. Und wer nach rund 50 Prozent der zweieinhalb Stunden noch grübelt, wer mit wem und warum, liegt grundfalsch: Um gesunden Menschenverstand geht es hier schon längst nicht mehr.

Werkwidrig ist das nicht, wurzelt sogar tief in barocker Tradition. Allen jemals vertonten Antiken- und Ritterspektakeln liegt ja weniger am Erzählbogen, sondern am Situativen. Figuren werden – gern sinnfrei – emotionalen Ausnahmezuständen ausgesetzt, um sie dann im musikalischen Labor zu beobachten: Verdis krauser „Troubadour“ ist ein später Nachhall dieser Epoche. Dass Ranisch irgendwann den Faden verliert, dass die Überblendungen von Realität und Film acht von zehn Geboten der Ratio ignorieren, passt also. Immer mehr zersetzt sich das Laimer Kino, bis am Ende ein gefühlsverwirrtes Schlachtfeld übrig bleibt, in dem das Personal in absurder Fröhlichkeit das Happy End herbeizwingt.

Der Abend ist kurzweilig (nicht zuletzt dank Ranischs Filmen) und ein rechter Schmarrn – was nichts Schlechtes sein muss. Willig überlässt man sich dem ungeordneten, mäandernden Erzählstrom, der in die Nummernparade mündet. Dass die Laimer Ausgangssituation mehr Wichtigkeit und Konzept behauptet, als eingelöst wird, ist schade. Und dass Ranisch im Grunde Haydns Stück nicht erklären will, dessen Grundkonstellation nicht viel komplizierter ist als Mozarts „Così fan tutte“, gibt auch ein paar Maluspunkte.

Sänger im Gag-Sandkasten

Trotzdem: Der Opernfrischling hat Fantasie. Und er ist ein Motivator, man merkt es den Solisten an, die sich im Gag-Sandkasten auch hörbar wohlfühlen. Dovlet Nurgeldiyev (Medoro) und Adela Zaharia (Angelica) geben mit großen, zugleich flexiblen Edelstimmen das hohe Paar, Letzterer möchte man nach dieser Premiere einen Münchner Belcantozyklus zu Füßen legen. Zum Dressman-Image von Edwin Crossley-Mercer (Rodomonte) mag der hohlwangige Grauton-Gesang nicht  ganz  passen. Elena Sancho Pereg (Eurilla) und David Portillo (Pasquale) erfüllen aufgekratzt und quecksilbrig ihre Buffo-Funktion, Mathias Vidal (Orlando) gibt mit leichtgängigem Tenor den Notenjongleur. Tara Erraught als langnägeliger Alcina mit Hang zum Hexenstuss  merkt  man  an,  dass  sie Lust auf Dramatischeres hätte.

Das Münchener Kammerorchester, fürs terminüberlastete Staatsorchester ins Festspielboot geholt, bewegt sich bei dieser Literatur im ureigenen Revier. Man weidet sich daran und wundert sich auch, wie alle mit Ivor Boltons Körpersprache zurechtkommen. Der gibt wie immer nicht den Lotsen, sondern den – auch fahrigen – Animateur. Ergebnis ist ein temperamentvoller, saftiger, entdeckungslustiger Haydn, bei dem man sich über mehr Detailarbeit auch gefreut hätte. Axel Ranisch zieht übrigens weiter an die Stuttgarter Staatsoper, wo er Prokofjews „Liebe zu den drei Orangen“ inszeniert. Der Mann wird zu einem großen Liebenden des Musiktheaters, man spürt’s. Gut auch, dass er noch ein bisschen übt.

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