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"Salome" in Salzburg
In der Kältezone der Macht

Kein "Tanz der Sieben Schleier", kein Kuss auf den Mund des enthaupteten Jochanaan. Regisseur Romeo Castellucci verweigert dem Publikum zwei ikonische Szenen, und schafft dennoch eine packende Neuinszenierung. Dirigent und Sängerensemble können gleichermaßen überzeugen.

Von Christoph Schmitz | 29.07.2018
    Asmik Grigorian als Salome in der gleichnamigen Oper von Richard Strauss auf den Salzburger Festspielen (2018) - in der Inszenierung von Franz Welser-Möst und Romeo Castellucci.
    Asmik Grigorian als Salome in der gleichnamigen Oper von Richard Strauss auf den Salzburger Festspielen (2018) - in der Inszenierung von Franz Welser-Möst und Romeo Castellucci. (Salzburger Festspiele / Ruth Walz)
    Die Partitur der "Salome" von Richard Strauss verleitet Dirigenten und Orchester mitunter zu einem schwülen Orientalismus. Sie baden dann gern in der durchaus auch angelegten Lüsternheit einer plüschigen Dekadenz und verlieren dabei leicht den Skandal, den Schmerz, die Verzweiflung und die Brutalität des Stücks aus dem Blick. Nicht so in der Neuinszenierung des Werks bei den Salzburger Festspielen.
    Die Wiener Philharmoniker unter der grandiosen Leitung von Franz Welser-Möst lassen zwar das ganze funkelnde, leuchtende und prächtige Farbspiel der Komposition mit all ihrer Üppigkeit erklingen, sie zeigen aber zugleich auch immer das Schrille, Abgründige, Gewaltsame – den Schrecken. Sie machen sinnfällig, dass hier auch musikalisch nicht nur Biblisches, Tiefenpsychologie und spätbürgerlicher Historismus verhandelt werden, sondern Ursehnsüchte, existentielle Suchbewegungen und zugleich totalitäres Herrschaftsgebaren. Und Franz Welser-Möst am Pult dirigiert das so entschieden, so überzeugend und genau, dass man als Zuhörer in eine Art Taumel gerät zwischen nüchterner Analyse und kopfloser Hingabe.
    Verrätselte Ästhetik, stilisierte Bilder
    Wie die Musiker, so hat sich auch die Regie nicht vom klanglichen Tropenklima verleiten lassen. Was von einem Künstler wie Romeo Castellucci allerdings kaum zu erwarten gewesen wäre. Zuständig in der Felsenreitschule für Regie, Bühne, Kostüme und Licht setzt er gleich zu Beginn auf eine Ästhetik der Kälte, auf Minimalismus der Zeichen, auf Verrätselung und stilisierte Choreografie und Personenführung. Wobei er seine Bilder aus Salzburger Lokal-Material schöpft, aus schroffem Felsgestein und goldenem Reichtum. Der Bühnenboden vor der gigantisch steil aufschießenden Felswand im Hintergrund ist eine schwarze blitzblanke Spiegelfläche, die im Verlauf des Abends immer wieder von Männern in Anzug gewischt und poliert wird, denn viel Schmutz wird es geben; Erde, Kloakenunrat und Blut der Opfer werden die Sterilität der Macht besudeln. In Plastiksäcken werden die nackten Körper der Geschundenen durch den Palast des Herodes gezogen. Der König und seine Entourage stecken in maßgeschneiderten Anzügen.
    Rot wie Blut
    Ihre unteren Gesichtshälften sind bis zur Nase rot gefärbt, als wateten sie nur so durch Blut, als steckten sie nicht nur bis zum Hals im Blut ihrer Untaten; vielleicht ist die rote Farbe aber auch nur ein Zeichen ihrer Zugehörigkeit zur Machtelite - Castelluccis Signale sind nie eindeutig. Auch der rote Fleck im blütenweißen Kleid der jugendlichen Salome auf der Höhe ihres Gesäßes mag vieles bedeuten: Reife der Frau, Menstruation, Entjungferung, Vergewaltigung, sexueller Missbrauch durch den Stiefvater seit Kindheitstagen. Und Castellucci verzichtet darauf, seine Titelheldin tanzen zu lassen, damit sie als Gegenleistung von Stiefvater Herodes den Kopf des Jochanaan bekommt. Halbnackt kauert sie auf einem goldenen Altarblock und erwartete einen gigantischen Felsquader, der langsam vom Bühnenhimmel nach unten sinkt und ihren zarten Körper zu zerquetschen droht. Salome küsst auch nicht die Lippen des enthaupteten Jochanaan. Denn nur der bleiche Torso des Propheten ohne Kopf wird ihr vorgesetzt. Zu seinen Füßen der abgeschlagene Schädel eines Pferdes, das wir zuvor real, lebendig, agil, aufgeregt tänzelnd auf der Bühne in einer kreisrunden Vertiefung gesehen haben.
    Solistenensemble von seltener Qualität
    Von solch befremdlicher, lockender, geheimnisvoller Symbolik ist das Regiewerk, das einen packt und unablässig staunen und erschaudern lässt. Und zur meisterhaften Bühnen- und Klangregie von Castellucci und Welser-Möst gesellt sich ein Solistenensemble, wie man es selten in derart geballter Form und mit solcher Qualität bis in die Nebenrollen hinein erlebt, allen voran die litauische Sopranistin Asmik Grigorian als Salome:
    "Deinen Mund begehre ich, Jochanaan. Dein Mund ist wie ein Scharlachband an einem Turm von Elfenbein."