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Weisheitslehre, Liebestod

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Pamina, Christiane Karg, wohl von Hochzeit träumend. Monostatos, Michael Porter, wohl zu einem Gläschen ratend.
Pamina, Christiane Karg, wohl von Hochzeit träumend. Monostatos, Michael Porter, wohl zu einem Gläschen ratend. © rtr

In Salzburg führt Lydia Steiers "Zauberflöte" auf den Jahrmarkt und Romeo Catelluccis "Salome" ins strenge, karge Schwarz-Weiß.

Die „Ouverture spirituelle“, eine Woche mit geistlicher Musik vor den Opernpremieren des Salzburger Sommers, war eine Erfindung des früheren Festspielchefs Alexander Pereira. Sie wurde erfreulicherweise vom jetzigen Leiter Markus Hinterhäuser übernommen. In diesem Kontext begab sich einer der interessantesten Programmschwerpunkte: Nämlich eine Reihe mit Werken der russischen Komponistin und Schostakowitsch-Schülerin Galina Ustwolskaja, die von der fast einmaligen Verbindung eines knorrigen, schonungslosen Avantgardismus mit religiöser Intention durchdrungen sind. Von Stockhausen-Charakteristiken unterscheidet sich diese Klangwelt vor allem durch unmittelbare, rüttelnd expressive Ekstatik. 

Hinterhäuser, von Hause aus ja Pianist, beteiligte sich mit zwei Konzerten selbst an dieser Werkpräsentation und konnte das Publikum dadurch zu erhöhter Neugier anstacheln. Zusammen mit der Geigerin Patricia Kopatchinskaja (ihr Markenzeichen ist, dass sie immer barfuß auftritt) spielte er die Sonate (1952) und das Duett (1964) für Violine und Klavier, letzteres eines der wildesten, radikalsten Stücke Ustwolskajas. Wütende Appelle an einen toten oder schwerhörigen Gott. 

In einem Nachtkonzert am selben Tag unterzog sich Hinterhäuser der tour de force der sechs Klaviersonaten Ustwolskajas, die, trotz der großen Unterschiede in ihrer zeitlichen Entstehung, als zyklische Hervorbringung (mit gewaltig-gewaltsamen Rahmen-Setzungen und subtiler ausdifferenzierten mittleren Stücken) wahrnehmbar sind. Bewundernswert die manuelle und geistige Konzentrationsfähigkeit des Interpreten, der in dieser Musik zuhause ist.

„Zauberflöte“: Alles geht irgendwie den Bach runter

Sektoren wie die Ustwolskaja-Abende gehören gewiss nicht zu den Festspiel-Nebensachen; gleichwohl richtet sich die öffentliche Aufmerksamkeit nicht nur in Österreich vor allem auf das „Kerngeschäft“ der Opern- und Schauspieldarbietungen. Auch damit erntete Hinterhäuser bereits in seinem ersten regulären Amtsjahr 2017 ungewöhnliches publizistisches Wohlwollen, und diese Tendenz scheint sich fortzusetzen. Die meist schrillen Presse-Töne aus Wien sind bis jetzt jedenfalls ausgeblieben. Dass Hinterhäuser nicht mit jedem Projekt Fortune hatte (mit der „Aida“ der iranisch-amerikanischen Filmemacherin Shirin Nashet 2017 gar keine), wurde ihm nicht angekreidet. Dabei identifiziert er sich mit seinen Vorhaben mehr als die früheren Intendanten und findet alles nicht nur vorneweg prima, sondern auch hinterher. 

Zu Hinterhäusers Strategie gehört bisher, dass er sich nach vielen theatermacherischen Seiten hin orientiert. Auf Dauer wäre freilich auch einige Kontinuität anstrebenswert. Man würde sich gerne wieder Mozart- oder Strauss-Opernzyklen mit jeweils ein und demselben Team vorstellen. Und warum sollte eine – im besten wie im streitbaren Sinne – sensationelle Musikerfigur wie Teodor Currentzis nicht stärker an Salzburg gebunden werden?

Mit seiner auch rhetorisch unspröden Mischung von Bescheidenheit und Sendungsbewusstsein kommt der künstlerische Leiter gut an. Dabei hat er es nicht einfach, ganz neue Festspiel-Akzente zu setzen. Auf Karajans Doppelrahmstufen-Kulinarik folgte Mortiers Entrümpelung. Auch Peter Ruzicka verfolgte eine intellektuell anspruchsvolle Linie, während Alexander Pereira (obgleich Österreicher, war er in Salzburg zum Teil ziemlich angefeindet) eine pluralistisch aufgefächerte Imponier-Opulenz anstrebte. Was bleibt nun für Hinterhäuser an innovativer Schubkraft übrig? Mit Blick auf 2018 könnte man, in einen vielleicht übertriebenen Sarkasmus verfallend, sagen: die Verwirbelung und Verdrechselung der Opernoptik.

Die beiden ersten Salzburger Opernpremieren ergaben nämlich eine etwas gemischte Bilanz.
Man hätte der amerikanischen Regisseurin Lydia Steier, die bedeutende künstlerische Erfolge vorweisen kann (zuletzt mit Glucks „Alceste“ in Mainz), in Salzburg ein perfektes Debüt gewünscht. Doch ihre „Zauberflöten“-Sicht blieb problematisch, unbefriedigend, teilweise nah am Stuss. Sie kleidete den beliebten Zweiakter, in  schwerfällig-„deutsch“ anmutender Manier, in eine umständliche, ledern (teilweise von Steier selbst) betextete Rahmenhandlung. Um einige Ecken und gutmütig gedacht, lässt sich diese in etwa so zusammenfassen: Drei Jungens aus einer großbürgerlichen Familie lassen sich von ihrem Großvater den Plot der „Zauberflöte“ erzählen, ein Prüfungs- und Selbstfindungsmärchen. Und am Ende ziehen sie aus dieser education sentimentale die Weisheitslehre, dass solche Bemühungen nur zu Desillusionierung führen, Gut und Böse ununterscheidbar verschwimmen und die schönsten, leuchtendsten Finali die Beklommenheit und Betretenheit des nicht wirklich ins Helle geratenden Spektakels nicht zu übertünchen vermögen...

Lydia Steier präsentiert also gewissermaßen die Selbstabschaffung der „Zauberflöte“, weniger die Dialektik als ein profundes Nebbich der Aufklärung. Ein mutiger, ja tollkühner Ansatz, weil er sich mit dubiosen Einzelmomenten des Schikanedertextes nicht abgibt. Der „Mohr“ ist hier zwar keine Anstößigkeit mehr (weil Monostatos ein böser weißer Clownskopf ist), aber freimaurerische Männerherrlichkeit samt Frauenfeindschaft wird als Thema überhaupt nicht berührt. Wo durch die Egalität von Gut und Böse das Kinderglück zum Einsturz gebracht wird, hat auch die Anmahnung kritischer Vernunft keinen Platz mehr. Anything goes. Und alles geht irgendwie den Bach hinunter.

Natürlich gibt es hier auch eine gewaltige Diskrepanz zwischen verschrobener, aber nicht prinzipiell unsinniger Dramaturgie und aberwitzig aufwändiger theatralischer Aufmachung. Zur Ouvertüre wird in eigenem, nur noch am Schluss memorierten Bühnenbild eine eigene Geschichte erzählt. Später versucht Katharina Schlipf mit riesigen Metallkonstruktionen, jahrmarktmäßig voller Feuerräder oder fabrikartig labyrinthisch, verzweifelt die Bühne zu füllen. Über deren ganze Breite verteilt ergeben sich (im Großen Festspielhaus) Nischen, in denen, überzeugend oder auch nicht, Handlungsstationen und Soloszenen stattfinden (besonders „verloren“ die g-moll-Arie mit einer am Tisch sitzenden und essenden Pamina). Die Feuer- und Wasserprüfung zeigt das junge Hauptpaar verharrend vor angedeuteten Kriegsvideos mit Bombeneinschlägen und lädierten Großaufnahme-Gesichtern. 

Mit penibler Empfindlichkeit werden die traditionellen Dialoge und Witzchen eliminiert oder notfallmäßig paraphrasiert (eine souveräne Wiedergabe könnte eventuell auch die fettesten Klischees verkraften, etwa Papagenos „Mischen Sie sich nicht in meine Familienangelegenheiten“). Wenn bei der Papageno-Papagena-Szene im zweiten Finale ein ganzes Heer von Kinderwagen mit Krankenschwestern daherbrettert, weiß man, was Sache ist: Auf Teufel komm raus soll der drohende horror vacui besiegt werden. Inspiration, wo bist du?

Eigentlich war Klaus Maria Brandauer (wie es auch der abgesprungene Bruno Ganz gewesen wäre) zu schade für die unergiebige Rolle des Großvaters, der kaum mehr tut, als durch Kapitel-Ansagen den schönen Fluss der Musik zu unterbrechen. Ausgiebig, wenn auch manchmal verwirrend, ist der Dauerauftritt der erwähnten Familiensöhne, die als die „drei Knaben“ in die Haupthandlung einbezogen sind (Wiener Sängerknaben). Papageno (Adam Plachetka) ist, in blutiger Metzgerschürze und mit Schlachtmesser, auch stimmlich kaum noch ein gemütvoller Naturbursche. Solid, aber unaufregend die matronenhaft hergerichtete Königin der Nacht (Albina Shagimuratova). Sie steht unauffällig im letzten Bild herum wie bestellt und nicht abgeholt. Mit zarter, luzider Intensität: Christiane Karg als Pamina. Leicht gehemmt an lyrischer Ausstrahlung: Mauro Peters Tamino.

Eine Sondernote verdient Matthias Goerne als Sarastro. Obenhin gesagt, könnte man von einer Fehlbesetzung sprechen, weil Goerne kaum über bärenhaft tiefe Bassregister und abgeklärt-autoritative Sonorität verfügt. Doch bei großen Persönlichkeiten gibt es keine Fehlbesetzungen, weil sie ihre Partien immer irgendwie besonders zu kolorieren verstehen. Goerne, kein Guru und keine grundehrliche Respektsperson, sondern mit Zylinder und Biedermeierfrack (fast wie von Daumier gezeichnet) eine rätselhafte, auch in der Stimmgebung mit schwer definierbarer Noblesse, undurchschaubare Figur, Zauberer und Obergaukler, Häuptling einer anfangs munteren, gegen Schluss dann reichlich jämmerlichen und lethargisch-desolaten Zirkustruppe. 

Merkwürdig die musikalische Präparierung mit den Wiener Philharmonikern und dem Dirigenten Constantinos Carydis, der nach Kräften versucht, den vorjährigen Salzburg-Matador Currentzis und dessen Rubato-Exzesse zu übertrumpfen, dabei aber viel unmotivierter, steifer, unbeholfener. Das waren keine Mozart-Sternstunden.

Tags darauf die Straussiade „Salome“, auch kein überwältigender Wurf, aber doch ein besserer und klarerer Eindruck. Der Zusammenklang von Monumentalität und Askese in der Felsenreitschulinszenierung (mit zugemauerten Galerien) von Romeo Castellucci (Regie, Bühne, Kostüme und Licht) war das gerade Gegenteil der diffusen und überladenen „Zauberflöten“-Szenerie. 

„Salome“: Monumentalität und Askese finden zusammen

Karg versagte sich Castellucci den orientalischen Flitterkram, achtete im Schwarzweiß der zeitlosen Gegenwarts-Kostüme auf strengen Kontrast zur vibrierend-vielfarbigen Jugendstilmusik. Doch an optisch-surrealen Hammerschlägen gebrach es nicht. Ein echtes Pferd tummelte sich zeitweise auf halber Höhe der Jochanaan-Zisterne. Und da der Jochanaan-Kopf am Ende abgängig war (der Getötete saß kopflos auf einem Stuhl am Bühnenrand), musste Salome für ihre utopisch-erotische Wunscherfüllungstat mit einem herumliegenden Pferdekopf vorliebnehmen. 

Exzentrisch auch Salomes Tanz: Die schöne Tochter der Herodias (beziehungsweise ein Double) absolviert ihn auf einem altarähnlichen Kasten oder Schrein als bewegungsloses Fleischpaket kauernd und allmählich von einem von oben herunterschwebenden Steinbrocken erdrückt. Das hat auch einen pragmatischen Aspekt: Vermieden wird dadurch die in den meisten (aber nicht allen) Fällen sowieso dilettantische Tanzdarbietung einer Sängerin. In Salzburg nun also eine sozusagen konzeptionell geadelte Notlösung. Wohltuend die unforcierte Wiedergabe des Judendisputs ohne wüstes Gestikulieren - die Musik gestikuliert da genug.

Trivial erotisierender Flirt mit der Nacktheit war der Titelsängerin Asmik Grigorian (der vorjährigen „Wozzeck“-Marie) versagt, und das erwies sich als umso faszinierender. Zumeist hatte sie ein hochgeschlossenes strahlendweißes Gewand (mit provozierend rotem Fleck auf der Rückseite). Perversität und Unschuld – dies ja auch die phänomenale Konnotation des Schlussmonologs („Ich habe deinen Mund geküsst, Jochanaan“), utopische Wunscherfüllung im Zusammenfließen von Liebe und Tod. Salomes finale Exekution blieb etwas undeutlich. Und der hymnische Gesang war vielleicht doch ein wenig dadurch beeinträchtigt, dass die Stimme hart in Bodennähe (aus einer Bühnenvertiefung heraus) platziert war, zumindest psychologisch eine irritierende Wendung ins Gruftige, die dank Grigorians leuchtender vokaler Fülle nicht sehr erheblich war.

Getreu der Strauss’schen Erkenntnis, dass der Prophet der Perverseste von allen sei, war Gábor Bretz ein machtvoll-dämonischer Jochanaan-Finsterling, der bei seinem großen Auftritt mit Salome seinen schwarzen Riesenschatten auch über die Titelfigur ausstreckte. Den nervös bramarbasierenden Herodes gab John Daszak mit einem keineswegs in alle Facetten dieser gewitzt karikierten Herrscherphysiognomie hineinleuchtenden Diktion. Leichter hatte es Anna Maria Chiuri, mit charaktervollem Alt die nüchternere Autorität der Herodias zu imaginieren. Unbedingt erwähnenswert Julian Prégardiens klangschöner Narraboth.

Franz Welser-Möst dirigierte die anspruchsvolle Partitur quasi mit leichter Hand, also wie anstrengungslos und geradezu gemütlich und etwas spannungsarm (und benötigte ein paar Minuten mehr als die durchschnittlich übliche Aufführungsdauer), führte die Wiener Philharmoniker gegen Schluss dann aber doch sicher und wirkungsvoll zu den notwendigen dynamischen Höhepunkten. Unaufgeregt gediegenes Festspielformat. 

Nun darf man gespannt sein, was in den nächsten gut zwei Wochen noch an Opern-Neuinszenierungen auf welche Weise kommt: Tschaikowskis „Pique Dame“, Monteverdis „Poppea“ und Hans Werner Henzes „Bassariden“; letztere wurden vor 50 Jahren in Salzburg uraufgeführt. 

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