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Schönheit muss leiden. Evgenia Muraveva in der Rolle der Lisa.

© Ruth Walz

"Picque Dame" in Salzbzurg: Der Tod nimmt sich sogar die Träume

Salzburger Festspiele: Hans Neuenfels inszeniert Tschaikowskis „Pique Dame“ – und Mariss Jansons dirigiert.

Schon vor der dritten, mit Hochspannung erwarteten Musiktheaterpremiere der Salzburger Festspiele verbreitete sich eine gute Nachricht: Hans Neuenfels, 77, tritt zurück von seinem angekündigten Rücktritt. In den Wirren seiner „Salome“-Produktion an der Berliner Staatsoper, bei der Christoph von Dohnányi, 88, den Taktstock vor der Generalprobe hinwarf, hatte er das Ende seiner Theaterlaufbahn für diesen Sommer angekündigt. Nach Salzburg sollte Schluss sein.

Nun stellt Neuenfels in einem Interview mit der „NZZ“ klar, dass es das Verhalten der Staatsopernleitung war, die ihn zum Aufgeben verleitete. Die hatte dem Eindruck nicht widersprochen, der Dirigent gehe, weil Neuenfels einen stilisierten Phallus auf die Bühne gestellt hat. Dabei war es wohl ganz anders: Dohnányi hatte das Vertrauen von Sängern und Musikern verloren, und Neuenfels daraus keinen Hehl gemacht. Als Opfer wollte sich der Regisseur auf keinen Fall in der Öffentlichkeit dargestellt sehen. Dann lieber ganz abtreten von der Bühne. Das sagt viel aus über den großen, empfindsamen Opernliebhaber Neuenfels. Und deshalb ist dieser Rücktritt vom Rücktritt ausnahmsweise ein Glücksfall.

Man muss auch Anna Netrebko dafür dankbar sein, dass sie für eine Wiederaufnahme ihrer „Aida“ heuer nicht zur Verfügung stand. So musste eine neue Produktion für diesen Sommer her, und Intendant Markus Hinterhäuser gelang unter Zeitdruck gleich ein doppelter Coup: Mariss Jansons dirigiert mit Tschaikowskis „Pique Dame“ erneut eine Oper in Salzburg, eine überaus rare Gelegenheit, diesen Dirigenten, der von Musikern und Publikum so verehrt wird, wie kein zweiter, im Orchestergraben des Großen Schauspielhauses zu erleben.

Poesie mit Todeshauch

Jansons kennt Karajans Cinemascope-Bühne seit 1970, als er dem Salzburger Übermaestro assistieren durfte. Seit 1990 kam er als Orchesterdirigent zurück und zeigte, welche individuelle Klasse die ihm anvertrauten Klangkörper entwickeln konnten. Nun steht der jüngst mit der Festspielnadel mit Rubin ausgezeichnete Jansons am Pult der Wiener Philharmoniker und kehrt zu einer alten Liebe zurück, zu Tschaikowski, diesem begnadeten Melodiker und seiner vom Todeshauch berührten Poesie.

Auch für Neuenfels ist dieses Sommerengagement eine Rückkehr: 2001 hatte er zum letzten Mal bei den Salzburger Festspielen inszeniert, zum Ende der Intendanz von Gerard Mortier. Seine „Fledermaus“ wurde zum Skandal: Koks und Austrofaschismus, Stimmakrobatik und Frustficken, Schönberg-Einspielungen und Publikumsbeschimpfung – die Champagner-Laune war im Eimer.

Es wurde getobt, das Polizeiaufgebot verstärkt und ein Prozess auf Ersatz der Kartenpreise gegen die Festspiele angestrengt. Danach lag Neuenfels unter einem Salzburg-Bann. Der ist nun gebrochen, Premierenkarten durchstießen auf dubiosen Ticket-Portalen die 2000-Euro-Grenze, und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel wollte an diesem Abend dabei sein in Salzburg, auch wenn sie wegen massiven Ferienstaus beinahe zu spät eingetroffen wäre. Angst vor einer erneuten Regie-Schelte war dem Publikum nicht anzumerken, das wie immer stolz präsentiert, was es hat. Einiges davon zieht sich in Schleppen hinter den Besitzerinnen her, so dass Abstand halten muss, wer das kostbare Gewirk nicht einer Zerreißprobe aussetzen will.

Mariage aus materiellen Gründen

Im Grunde genommen sind die Salzburger Festspiele das ideale Pflaster für „Pique Dame“, in der der alte Adel seine längst aus der Mode gekommenen Feste feiert, umschwänzelt von einer materiell abhängigen Jugend, auf eine gewinnbringende Mariage hofft. Puschkin, dessen gleichnamige Erzählung Tschaikowski als Vorlage diente, konstatiert das ebenso klar wie mitleidslos.

Hermann, der Pionieroffizier, ist bei ihm ein in der Seele Spielsüchtiger, der mit Berechenbarkeit, Ausdauer und Fleiß gegen seinen Dämon anzuleben versucht. Doch diese sich selbst auferlegte Lebensweise bindet ihn an eine Gesellschaft, die ihm fremd bleibt, an Regeln, die zu Ketten werden. Ein Ausbruch scheint nur mit Mitteln möglich, die nicht von dieser Welt sind: die sagenumwobene Gabe der „Pique Dame“ genannten uralten Gräfin, drei sichere Gewinnkarten voraus zu sagen.

Während Puschkin seinen Hermann nicht ohne beißenden Spott zu Grunde gehen lässt, erzählt Tschaikowski eine große Liebesgeschichte. Bei ihm träumen Hermann und Lisa, die Enkelin der Karten-Gräfin, vom Ausbruch durch ein ungehindertes Ineinanderstürzen. Hermann erzwingt Gegenliebe unter der Androhung sich umzubringen, die entflammte Lisa (beherzt: Evgenia Muraveva) fordert Unbedingtheit. Neuenfels umgibt dieses hochenergische Paar mit einer verstörenden Gesellschaft von Kindersoldaten (streng nach dem Libretto inszeniert), Kriegsbräuten, Ammen mit gewaltigen Stillbrüsten und todestrunkenen Chor-Larven. Hier kann man nicht dazu gehören, selbst die Träume sterben in dieser Umgebung. Hermann glaubt plötzlich, Freiheit nur im Spielgewinn zu erlangen, gibt der Liebe keine Chance mehr. Und der Tod hat den letzten Stich.

Quasi nackt im Begehren

Düster geht es zu auf der Riesenbühne, die von Christian Schmidt und Reinhard von der Thannen, zwei getreuen Neuenfels-Ausstattern, in ein Aufmarschgebiet samt eingelassenen Fließbändern verwandelt wird. Nur eine Szene spielt in einer kleinen, gleißenden Whitebox – die nächtliche Begegnung zwischen der Gräfin und Hermann, in der er ihr das Geheimnis entreißen will. Hier gelingt Neuenfels tatsächlich ein Moment größter Klarheit: Ihrer Kostümierung samt Gisela-May-Gedächtnisperücke ledig, quasi nackt, ist die alte Frau ganz und gar stummes Liebesbegehren.

Die große Hanna Schwarz, 74, spielt das ohne jede Peinlichkeit – und man spürt kurz, wie es dem ansonsten stimmlich und körperlich überaus robusten Brandon Jovanovich als Hermann beinahe das Herz bricht. Es sind Bilder des Verschwindens, die Neuenfels an diesem Abend setzt, wie Lisa auf ihren eigenen Schatten zugeht, wie Hermann im Spieltisch versinkt. Bilder von elementarer Trauer, bar jeglicher Larmoyanz.

Diese Sicht verbindet Regisseur und Dirigenten. Mariss Jansons umreißt schon in der Ouvertüre seine Klangvorstellung genau, betont das Mürbe in den Melodien, entlarvt den Fatalismus des Blechs, lauscht dem torkelnden Verrinnen der Zeit. Doch wie das Operngeschehen auch, verselbstständigen sich die Wiener Philharmoniker weichen Trennlinien auf, greifen mehr und mehr auf zugegeben prächtige Klangpauschalen zurück. Und es schleicht sich die Frage ein, ob es mit Jansons’ eigenem Klangkörper, dem nahegelegenen Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, nicht eine noch seelenvollere Aufführung hätte geben können, mit weniger lautem Glanz und mehr Schimmern.

Neuenfels hat sich übrigens mit Kirill Petrenkos „Pathétique“ im Ohr für die Vorstellung begeistern können, Tschaikowski zu inszenieren. Es war jenes erste Konzert nach seiner Wahl zum Chef der Berliner Philharmoniker, ein Höllensturz von kristalliner Urgewalt, der alle Hoffnungen mit sich reißt – und die Ohren öffnet für das flüchtige Wunder der Musik. Dieser elementaren Erschütterung bleibt die „Pique Dame“ trotz eines überaus stimmigen Sängerensembles, angeführt von Vladislav Sulimsky als Graf Tomski und Igor Golovatenko als Fürst Jeletzki, an der Salzach fern.

„Wir werden trinken und uns amüsieren! Wir werden mit dem Leben spielen!“, skandiert der Chor im Schlussbild. Eine trostlose Aussicht, daran lässt Neuenfels keinen Zweifel. Doch Rettung naht: Die erste Tournee von Kirill Petrenko und seinen Philharmonikern führt am 26. und 27. August mit zwei Programmen auch nach Salzburg zum Festspiel-Finale.

Weitere Vorstellungen am 10., 13., 18., 22. und 25. August. TV-Aufzeichnung am 16. August, 20.45 Uhr bei Servus TV Deutschland. Mehr unter www.salzburgfestival.at

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