1. Startseite
  2. Kultur
  3. Theater

Sog der Bilder

KommentareDrucken

„The Head and the Load“ von William Kentridge eröffnet mit einem gigantischen Bilderbogen die Ruhrtriennale.

Es ist Krieg in der Duisburger Kraftzentrale: Durchdringendes Sirenengeheul eröffnet den nur 90-minütigen ersten Abend der Ruhrtriennale. Es sind mächtige menschliche Stimmen, die sich zu diesem unheimlichen Geheul vermischen, verteilt auf der riesigen, annähernd 50 Meter breiten Bühne. Mahnend, anklagend, zornig und trauernd zugleich in wortloser Klage. Ein suggestiver Auftakt zu einem rauschaft sinnlichen und zugleich dokumentarisch akribischen Abend, der in einer Art archaischem Prozessionstheater mit multimedialem Dauerfeuer einen wahren Sog der Bilder, Töne und Informationen entfesselt.

Am Ende erhebt sich das Premierenpublikum, systematisch überfordert und doch spürbar vereinnahmt, von den Sitzen, um William Kentridges Kreation „The Head and the Load“ mit stehenden Ovationen zu feiern. Dieser Applaus ist auch demonstrativ zu verstehen, denn die Erleichterung darüber, dass das Festival nun endlich doch begonnen hat, ist mit Händen zu greifen.

Ein unerfreuliches Vorspiel beschäftigt seit Wochen Politik und Medien, im Zentrum der kontrovers geführten politischen Debatte steht die neue Festival-Intendantin Stefanie Carp, die durch ihren wankelmütigen Umgang mit der israelkritischen HipHop-Band „Young Fathers“ und zudem durch ihr desaströses Kommunikations-Management für negative Schlagzeilen sorgte. Auf ihren Zickzack-Kurs und ihre nebulösen Auslassungen reagierte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) mit einer Absage an das Festival. Man kann das als Wegducken und Konfliktscheu bezeichnen, aber auch als deutliches Signal dafür deuten, dass Carps Intendantenstuhl wackelt. Auch Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos), Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, hatte sich irritiert über Carps Haltung geäußert und fehlt am Premierenabend im Publikum.

Jede Menge politischer Trubel und Kommunikationspannen also schon vorab für das Festival, das tatsächlich ja politischer sein will denn je. Denn unter dem Motto „Zwischenzeit“ stehen die ohnehin stark politisch aufgeheizten Themen Rassismus, Postkolonialismus, Migration und Vertreibung im Fokus des Programms. Hatten bei Carps Vorgängern stets auch Auseinandersetzungen mit veritablen Opern und Theaterstücken aus dem Kanon der mitteleuropäischen Hochkultur auf dem Programm gestanden, sucht man dergleichen in diesem Jahr vergebens. Hierzulande kaum bekannte Namen aus Afrika dominieren den Spielplan, mehr denn je Experimentelles an den Grenzen der Genres, Installationen und Performances.

Exemplarisch für die Abwendung von der eurozentrischen Sicht steht die Eröffnungsproduktion „The Head and the Load“, deren Titel sich auf ein Sprichwort aus Ghana bezieht. Die Produktion war zuvor bereits in der Londoner Tate Modern zu sehen und feiert in Duisburg ihre Deutschlandpremiere. Auch das ist ein Novum bei der Ruhrtriennale, die sonst immer mit exklusiven Eigenproduktionen eröffnete.

Der aus Südafrika stammende Zeichner, Theater- und Opern-Regisseur, Film- und Animationskünstler William Kentridge dekliniert mit „The Head and the Load“ („Kopf und Last“) einmal mehr seine Lebensthemen Rassismus und Apartheit durch und reflektiert mit seinem Strom parallel laufender Filmbilder, Projektionen und Tonspuren, Live-Aktion und -Musik die Rolle Afrikas und der Afrikaner im Ersten Weltkrieg. Dass damals auch in Afrika Krieg herrschte und Hunderttausende von Afrikanern von den Kolonialmächten zwangsrekrutiert und zumeist als Träger gigantischer Lasten zu Tode gehetzt wurden, ist eine bis heute wenig bekannte Tatsache. Kentridge blendet an der Rückwand die nüchternen Protokoll-Listen der Opfer und ihrer Todesursachen ein: Typhus, Erschöpfung, Malaria, Schlafkrankheit, Schwarzwasser-Fieber. Die Listen sind endlos. „Immer hungrig. Immer durstig“ skandieren die Darsteller dazu in unbarmherzig perkussivem Rhythmus.

Kentridge bespielt mit seinem gigantischen Bilderbogen die ganze Breite der Bühne, an deren Rückwand Filme und Projektionen ablaufen. Eine Schar von Instrumentalisten des Ensembles „The Knights“, ein Vokalensemble, Gesangssolisten und ein Schauspielensemble agieren in einer nicht enden wollenden Prozession und immer auch parallel, so dass das Publikum aufgrund der immensen Breite des Tableaus niemals alles erfassen kann, was sich abspielt. Zumal die dahinter laufenden Filme und Bilder die Aufmerksamkeit häufig ganz auf sich lenken. Die Live-Akteure liegen zudem auch oft als überlebensgroße Scherenschnitte auf den Bildern der Rückwand. Gesprochen, geschrien und gesungen wird polyglott (mit Übertiteln), traditionelle afrikanische Klänge und Rhythmen mischen sich raffiniert mit Philip Millers minimalistischer Neukomposition, dann erklingt aber auch „God Save the King“ und Sentimentales von Fritz Kreisler.

Kentridge verfolgt keinen roten Faden, geschweige denn, dass er eine stringente Geschichte erzählt. Er breitet vielmehr ein riesiges Panorama aus, das von der blutigen Historie mit ihren schuldhaften Verstrickungen bis in die unmittelbare Gegenwart reicht. Damit folgt Kentridge seinem künstlerischen Credo: „Meine Arbeit ist eine Ausgeburt der brutalisierten Gesellschaft, die die Apartheit hinterlassen hat“. Der Abend hat hohes Tempo und musikalischen Drive und ist mit seinen expressiven Lamenti, den chorischen Skandierungen und seiner rhythmischen Wucht doch wieder so etwas wie eine als Gesamtkunstwerk verstandene Oper und löst einen mitreißenden Sog der Assoziationen aus. „The Head and the Load“ ist insgesamt virtuos gemacht, bis in die kleinsten Details perfekt ausgeführt und in seiner Komplexität überwältigend. Eine produktive Überforderung und ein starker Auftakt.

Auch interessant

Kommentare