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„Poppea in Salzburg“: Körperwelten als dünne Illustration

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Liebespaar, das über Leichen geht: Nerone (Kate Lindsey, li.) und Sonya Yoncheva (Poppea).
Liebespaar, das über Leichen geht: Nerone (Kate Lindsey, li.) und Sonya Yoncheva (Poppea). © Foto: Maarten Vanden Abeele

Die Oper zum Ballett öffnen, das ist nicht neu. Und bringt manchmal nicht furchtbar viel, wie diese Salzburger „Poppea“ zeigt.

Salzburg - Dieser Dauer-Hass, diese Rachgier, dieses Hochschlafen, all das kann einen schon weiterbringen. Nur: Es strengt auch an. Und irgendwann lockt „la quiete in grembo“, der Schoß der Ruhe, wie es Poppea formuliert – um sich von Amme Arnalta in den ersehnten Schlaf singen zu lassen. Sehr viel passiert in diesem Moment. Die schneidigen Tänzer werden von hilfreichen Geistern um die stehende Poppea gruppiert. Eine lebende Skulpturengruppe, alle mit geschlossenen Augen, ein schweißglänzender Gruß aus der Antike, während Dominique Visse im Monolog der Amme wohligen Stillstand in eine überdrehte Aufführung zaubert. Vor allem aber: Endlich begegnen, verschränken, befruchten sich zwei Ebenen, die vorher Parallelexistenzen führten.

Die Oper zum Ballett öffnen, das ist nicht gerade der letzte Schrei. In Salzburg ward er bislang selten gehört: Jan Lauwers, belgischer Verbindungsmann für Bildende Kunst, Schauspiel und Ballett, performt sich gerade sehr angesagt durch die Theaterwelt. Ihm eine Festspielpremiere anzuvertrauen, noch dazu eine Monteverdi-Oper, die ohnehin den Gesang kurzschließt mit anderen Ausdrucksformen, darauf kann man also schnell kommen.

Ein Abend, mindestens zwei Aufführungen

„L’incoronazione di Poppea“ dürfte – eingedenk aller späteren Opernthriller – das Ruchloseste, Zynischste sein, das jemals auf die Bühne durfte. Eine Feier der Unmoral, untergejubelt mittels hocherotischer, verführerischster Musik. Im Haus für Mozart, das ist ja angemessen bei den Ticketpreisen, bekommt man im selben Stück sogar mindestens zwei Aufführungen serviert. Einmal ist da William Christie zu bestaunen, der nobelste, feinsinnigste, delikateste unter den Alte-Musik-Meistern. Vom Cembalo aus steuert er sein Ensemble Les Arts Florissants. Selbst glühenden Italo-Barock wie diesen begreift er nicht als Überwältigungsaktion, sondern lädt ein zum Hinhören, Nachspüren, Mitfühlen.

Und dann sind da die Sänger, allesamt Solisten, die nicht auf vegane Tonproduktion aus sind. Monteverdi, das zeigt der Abend, braucht den vollsaftigen Zugriff. Wer das als „opernhaft“ oder „romantisch“ schmäht, sollte sich zunächst vor ein Rubens-Gemälde stellen. Besonders beim Intrigantenpaar trägt das schönste Vokalfrüchte. Sonya Yoncheva, dank Verdi und Puccini im internationalen Star-Status, kehrt zu ihren Ursprüngen zurück. Wie sie jede Nuance ihrer Poppea abschmeckt, wie sie Singen zum Lusterlebnis, zum eindeutig zweideutigen Genuss werden lässt, das ist Monteverdi pur. Kate Lindsey ergänzt das als Nerone, der hier zum späten Glamour-Hippie wird. Singt Sonya Yoncheva mit dem Appeal einer reifen Orange, hält die Kollegin mit den aparten Tonstrahlen ihres Grapefruit-Timbres dagegen. Was für ein Paar.

Auch Stéphanie d’Oustrac führt Ottavia mit großkalibrigem Diven-Aplomb vor. An der Intensität, am ausgeglichenen, gar nicht so unterleibslosen Countergesang von Carlo Vistoli (Ottone) können sich andere Fachkollegen einiges abhören. Dominique Visse, ebenfalls von der hohen Männerfraktion, hat das längst getan: Wie er seine Paraderolle der Arnalta in vorgerückter Karrierestufe noch verfeinert, geschieht ohnehin in einer eigenen Barockklasse. Sich gegen eine solche Riege zu behaupten, ist schwer. Die quellfrische Ana Quintans (Drusilla) schafft es, im Falle Seneca hätte man sich eine größere Vokalautorität als Renato Dolcini gewünscht.

Choreografie als szenisches Glutamat

Alle sind sie dennoch stark in ihrer Ausstrahlung, was sie auch brauchen: Verhandelt, gesungen, agiert wird meist in einem schmalen Streifen um das tief sitzende Orchester herum. Ansonsten hat Jan Lauwers viel Zeit verwendet auf seine Ballett-Truppe. Anfangs glaubt man sich beim falschen Regisseur, flackernde Videos von der Hinterbühne schmecken nach Castorf. Die sind bald weg und geben der Abteilung Ausdruckstanz viel Raum. Leitmotiv, offenbar ein Schicksalssymbol, ist ein Derwisch-Dreher, den fast jeder einmal in der Bühnenmitte absolvieren muss.

Lauwers nimmt die Situationen des Stücks, auch die Temperaturen von Monteverdis Musik auf. Ergebnis ist aber nur in den seltensten Fällen Kommentar und Weiterführung. Was man sieht, ist emotionale Illustration und szenisches Glutamat. Nur selten berühren sich die Ebenen sinnfällig. Einmal, wenn in stummen Szenen gezeigt wird, wie sich die Grenzen von Eros und Gewalt verwischen, wie sich beides vielleicht sogar bedingt. Und einmal am Schluss, im Hit, der bekanntlich nicht von Monteverdi stammt.

Während Poppea und Nerone also mit „Pur ti miro“, „ich schaue dich“, in die Selbstvergessenheit driften, kippt die Zeitlupenparty im Hintergrund: Mit stummen Schreien prangern alle diese neue Beziehung an, die sich auf Verletzung und Mord gründet. Nicht viele Ergebnisse sind das für Lauwers’ Körperwelten. Vor einem Jahr hat John Eliot Gardiner in Salzburg ausgerechnet dasselbe Stück gedeutet. Mit ähnlich guten Sängern und herausragenden Instrumentalisten, nur ohne Extra-Garnierung. Und siehe: Der Abend war stärker.

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