Premiere von „La Traviata“ im Saarländischen Staatstheater Das Konzentrat reiner Liebe

Saarbrücken · Verdis „La Traviata“ im Saar-Staatstheater lebt von der Kunst der Reduktion. Regisseur Ben Baur verzichtet auf unnötiges Beiwerk.

 Große Gefühle, starkes Ensemble: Olga Jelinkova gibt ihr Saarbrücker Debüt als Violetta (Mitte), Angelos Samartzis singt die Rolle des Alfredo.

Große Gefühle, starkes Ensemble: Olga Jelinkova gibt ihr Saarbrücker Debüt als Violetta (Mitte), Angelos Samartzis singt die Rolle des Alfredo.

Foto: SST/Kaufhold/Martin Kaufhold

Ein guter Fond, das weiß jeder Koch, entsteht durch kräftiges Reduzieren. Lange muss die Brühe auf der heißen Platte stehen, damit am Ende eine kräftige, geschmackvolle Essenz entsteht.

Ben Baur, der am Sonntag mit seiner „La Traviata“-Inszenierung am Saarländischen Staatstheater die Saison eröffnete, hat großes Talent zum Koch. Was schwimmt nicht alles in dieser Opern-Brühe um das Leben und letztlich auch Sterben der Kurtisane Violetta und ihrer aussichtslosen Liebe zu ihrem Verehrer Alfredo. Farbenfroh, kitschig und häufig auch überbordend schmalzig ist dieses Stück oft genug auf die Bühne gekommen. Baur geht den umgekehrten Weg, wenn er alles entfernt, was nicht der Kernhandlung, dem Drama dieser unglücklichen Liebe, dient.

Angefangen beim Bühnenbild, für das Regisseur Baur in Personalunion verantwortlich zeichnet: Nur das Nötigste ist auf der räumlich teils durch Vorhänge verkürzten und fast durchgehend durch eine schwarze Rückwand abgeschlossenen Bühne platziert. Hier ein paar Stühle, dort ein Tisch, selbst der Ballsaal ist spartanisch gehalten, Schilf und ein Boot stehen für das Refugium Alfredos und Violettas auf dem Land, Glocken und wenige Möbel reichen im dritten Akt für Violettas Sterbezimmer. So zurückhaltend er insgesamt ist, so freigebig ist Baur mit symbolischen Anspielungen. Die ebenso wie Violettas Lebensdocht unbarmherzig herunterbrennenden Kerzen, fallendes Herbstlaub, rieselnder Schnee. Wer sollte da noch auf ein Happy-End hoffen?

Es ist die konsequente Reduktion auf das Wesentliche, die die Dichte der Saarbrücker „Traviata“-Inszenierung ausmacht. Weg von süßlicher Gefühlsduseligkeit, hin zum Drama dieser Liebe, die angesichts der gesellschaftlichen, bigotten Konventionen keine Aussicht auf Erfolg hat. Baur fokussiert sich auf die „vom Weg Abgekommene“ – italienisch „la traviata“ –, der die Rückkehr ins „anständige“ Leben verwehrt ist. Sie ist die Hauptperson, die – auch farblich – heraussticht aus dieser einförmigen, grau-schwarzen Gesellschaft oberflächlicher Bürgerlichkeit. Mal im weißen Nachthemd, mal in roter Robe bringt sie hier lasziv, dort schicksalshaft Farbe in diese gefühlskalte Welt, die sie nach ihrer Wandlung selbst im schwarzem Mantel nie erreichen wird.

Eigentlich ist die „Traviata““ als große Oper angelegt, doch Baur gelingt es, sie zur Kammeroper zu konzentrieren. Im Fokus stehen nur noch Violetta, Alfredo und dessen Vater Giorgio Germont. Hier spielt die Musik, im wahrsten Sinne des Wortes: Olga Jelinkova ist eine großartige Violetta, dramatisch gefühlvoll, wenn sie ihre aufkeimende Liebe entdeckt („E strano“) mit spielerisch hingeworfenen Koloraturen, wenn sie anschließend („Follie, Delirio vano è questo“) dieses Gefühl als Unsinn erkennt und wieder in den Strudel der Lust zurückkehrt. Eine Traviata zum Niederknien. Was Angelos Samartzis als Alfredo Germont denn auch tut, wenn er ihr mit strahlender Tenorstimme seine Liebe erklärt („Un di felice, eterea“). Wahrlich ein Traumpaar, und stimmlich sicher bis in die höchsten Register. Herausragend auch Peter Schöne als Giorgio Germont. Die Partie ist seinem satten Bariton auf den Leib geschrieben. Virtuos füllt er sie, mal fordernd, wenn er Violetta für den Sturz des Sohnes verantwortlich macht, mal flehend („Pure siccome un angelo“), wenn er die durch die unheilige Verbindung gefährdete Zukunft der Tochter beschreibt oder Alfredo zur Rückkehr in den Schoß der Familie bewegen will („Di Provenza il mar il sol“).

Nur bei diesen Dreien sind letztlich die Gefühle konzentriert. Alle anderen geraten zur Kulisse. Auch hier bleibt Baur sich treu. Die großen Chorszenen (Einstudierung: Jaume Miranda), der Auftritt der Zigeuner und Matadore im dritten Bild, der Chor der Masken, bis auf die Ball­szenen ist alles gestrichen. Stattdessen ein Auftritt des Kinderballetts im unschuldig-weißen Tütü (Choreografie: Lilian Stillwell).

Überhaupt ist alles rund um die Rahmenhandlung reduziert: Statisten und Nebenrollen, sie wirken fast schon unwirklich. Mechanisch, ritualisiert erscheinen sie auf der Bühne und verschwinden auch wieder. Anwesend und doch nicht anwesend. Menschen als Kulisse, mehr nicht. Und auch die übrigen Solisten geraten zu Nebenrollen. Flora (Carmen Seibel), Gastone (Algirdas Drevinkas), Douphol (Stefan Röttig) und Dottore Grenvil (Hiroshi Matsui), Annina (Vera Invanovic) – zwar stechen sie mit den gedeckten Farben ihrer Kostüme (Uta Meenen) leicht aus dem übrigen Schwarz-Weiß der Bühne hervor. Doch auch bei ihren Partien hat Baur konsequent den Rotstift der Reduzierung angesetzt – bis hin zur Sterbeszene, bei der Baur die Oper mit Violettas letztem Aufflammen der Lebensenergie beendet. Die übrigen treten still ab, ohne noch ein weiteres Wort zu sagen, respektive zu singen.

Die Länge der Oper mit ihren vielen Gassenhauern, sie ist es am Ende, die Baurs Konzept ein wenig in die Quere kommt; teils geraten die Szenen durch das stete Abspecken nur noch zu Einzelbildern, bei denen auch die Hauptpersonen kaum noch etwas mit sich anzufangen wissen, wie Alfredo, der recht hilflos an der Seite steht, während Violetta dem Tode entgegen siecht.

Und doch ist die „Traviata“ gelungen, auch, weil Stefan Neubert am Pult mit maximaler Zurückhaltung die perfekte musikalische Begleitung bietet. Präzise führt er das Staatsorchester. Sauber wie ein Uhrwerk begleiten dessen Musiker selbst die dramatischsten Gefühlsausbrüche. Einzig, wenn Violetta sich vor ihrer Flucht noch einmal der Liebe Alfredos versichert („Ama mi Alfredo“) lässt Neubert Bläser und Pauken kurz von der Leine. Und im Vorspiel zum dritten Akt, wenn es ans Sterben geht, gönnt er sogar den Streichern leichte sentimentale Ausbrüche.

Dass Baur für unkonventionelle Ansätze steht, hat er schon bei seiner gefeierten „Lucia di Lammermoor“ gezeigt. Und auch „La Traviata“ hat er überzeugend in Szene gesetzt. Doch die Konzentration auf das Wesentliche und die Abkehr von Rührseligkeit und Kitsch polarisieren auch.

Ein stark reduzierter Fond ist eben auch im Lande der Feinschmecker nicht jedermanns Sache. Hier ist dann doch ein Klecks Sahne und etwas Gemüse gefragt, wie einige wenige Buhrufe beim Schlussapplaus zeigten.

 Giorgio Germont (Peter Schöne) drängt Violetta (Olga Jelinkova), auf Alfredo zu verzichten.

Giorgio Germont (Peter Schöne) drängt Violetta (Olga Jelinkova), auf Alfredo zu verzichten.

Weitere Termine: 29. August, 9./11./18./22./30. September.
Karten unter: Tel. (06 81) 3092 486.

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