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Beethovens „Fidelio“ eröffnet Spielzeit am Theater Bremen

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Vor zehn Jahren übernahm Nadine Lehner eine der kleineren „Fidelio“-Rollen, heute singt sie die Leonore. - Foto: Jörg Landsberg
Vor zehn Jahren übernahm Nadine Lehner eine der kleineren „Fidelio“-Rollen, heute singt sie die Leonore. © Jörg Landsberg

Bremen - Von Markus Wilks. So stellt man sich die Eröffnungspremiere einer neuen Spielzeit vor – ein Spektakel für alle Sinne und das Gehirn. Regisseur Paul-Georg Dittrich gelang mit Beethovens Oper „Fidelio“ über weite Strecken das Kunststück, die Handlung zu erzählen, zugleich den geistigen Gehalt des Werkes mit Hilfe einer Reise durch die Rezeptionsgeschichte zu analysieren und das Publikum einzubeziehen. Realisiert wurde dieses Konzept am Sonntagnachmittag von starken Sängerdarstellern und den großartig disponierten Bremer Philharmonikern.

Unter den Freiheits- und Befreiungsopern ist Beethovens „Fidelio“ eine der wichtigsten und wird häufig zur Eröffnung von Theatern einstudiert. Im ersten Teil der Neuinszenierung des Theaters Bremen lässt Paul-Georg Dittrich die Hauptfigur Leonore, die als Mann verkleidet ihren widerrechtlich inhaftierten Gatten Florestan sucht, durch acht wichtige Inszenierungen schreiten. Spannende Eindrücke gibt es beispielsweise, wenn Leonore die Figuren der Uraufführung belebt, sich später Parallelen zwischen dem Inhalt der Oper und dem Zeitgeschehen (Aufführungen im 2. Weltkrieg und zur Nachkriegszeit) ergeben, Leonore quasi beim Fall der Berliner Mauer dabei ist (Dresdener Inszenierung von 1989) und sich schließlich in der legendären Bremer Kresnik-Produktion von 1997 wiederfindet.

Dittrich, Lena Schmid (Kostüme) und Anna Rudolph (Kostüme) lassen diese Reise auf einer verkleinerten Guckkastenbühne ablaufen, überblenden das Geschehen mit eindrucksvollen Bildern und Videos, die den Zeitgeist widerspiegeln, und zitieren die jeweiligen Inszenierungen. Wer bereits vor 21 Jahren das Theater Bremen besucht hat, wird voller Erinnerungen die Plastiktüten, Speere und Blaumänner wiedererkennen. Nadine Lehner spielt die zwischen realer Figur und Verkörperung einer Freiheitsutopie angesiedelte Rolle in ihrer unnachahmlichen Art voller Präsenz, bestens unterstützt von einem sehr spielfreudigen Ensemble.

Mit dem Finale des 1. Aktes endet auch die Zeitreise und es folgt ein Kameraschwenk in das Publikum: „Fidelio“ heute, für und mit uns. 60 Personen kommen nun aus dem Zuschauersaal auf die Bühne und setzen sich zum gemeinsamen, durchaus luxuriösen Mahl an einen großen Tisch, auf dem die Kerkerszene gespielt wird. Damit will Dittrich thematisieren, aus welchem Gefängnis wir dieser Tage ausbrechen müssen – in einer Zeit, in der in unserem Land zwar keine Despoten die Freiheit unterdrücken, wir aber jeder in einer anderen Zwangslage stecken. Diesen Abschnitt mit der 3. „Leonoren-Ouvertüre“ und Videoprojektionen aus dem Orchestergraben zum Motto „Bewegt es dich?“ zu beenden, ist ein kluger Schachzug des Regieteams. Dann jedoch reißt der Spannungsbogen, als das Publikum mehr schlecht als recht zum Zitieren des nachfolgenden Textes eingebunden und der oratorienhafte Schluss vom Chor sowie den Solisten aus dem 2. Rang herab gesungen wird. So gibt es für die Solisten und das Regieteam – für Bremer Verhältnisse – vergleichsweise matte, dennoch wohlwollende Publikumsreaktionen.

Viel Beifall für Bremer Philharmoniker

Starken Beifall verdienen sich zurecht die Bremer Philharmoniker (exzellent die Hörner), die Yoel Gamzous Tempovorgaben meistens sehr gut umsetzten und einige Musiknummern mit fast sensationellen Pianoklängen eröffnen. Zwar dachte sich der Generalmusikdirektor des Theaters einige Temporückungen aus und atmet nicht immer mit den Sängern, überzeugt insgesamt aber mit einer hochmusikalischen, klanglich schlanken Interpretation, die durchaus mit den Bremer „Fidelio“-Ergebnissen von Markus Poschner und Paavo Järvi mithalten kann. Und auch der von Alice Meregaglia einstudierte Theaterchor garantiert Klangqualität.

Vor zehn Jahren im vergangenen (konzertanten) Bremer „Fidelio“ verkörperten Nadine Lehner und Christian-Andreas Engelhardt noch die „kleinen“ Rollen, nun haben sie als Leonore und Florestan einen vorläufigen Höhepunkt ihrer Karriere erreicht. Zwar hört man ihrem Sopran deutlich die Grenzen in der Höhe an, doch gestaltet Lehner wiederum hochkonzentriert und souverän. Den von vielen Tenören gefürchteten Florestan singt Engelhardt mit viel Kraft, strahlenden Spitzentönen und solider Klangqualität. Claudio Otelli (Pizarro) mit ausdrucksstarkem Heldenbariton, Christoph Heinrich (Rocco) mit gut geschultem, klanglich nicht sehr farbenreichem Bass und Joel Scott (Jaquino) mit leuchtendem Tenor tragen zur sehr guten Ensembleleistung bei, werden aber rein stimmlich von Marysol Schalit (Marzelline) und ihrem stets aufblühenden Sopran in den Schatten gestellt. Fazit: Vor allem dank des maßstäbesetzenden 1. Teils und eines vielfältigen Einbezugs des Publikums ist dieser neue „Fidelio“ unbedingt erlebenswert.

Weitere Vorstellungen sind am Freitag um 19.30 Uhr, Sonntag um 18 Uhr sowie am 30. September um 15.30 Uhr.

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