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Neue Oper Wien: Akrobatische Leichtigkeit im Wiener Semperdepot

Sogar das Liebesspiel wurde in luftigen Höhen aufgeführt
Sogar das Liebesspiel wurde in luftigen Höhen aufgeführt ©Armin B
Im Wiener Semperdepot wird dem am Rathausplatz gastierenden Zirkus Roncalli kräftig Konkurrenz gemacht. Die Opernpremiere von "Julie und Jean" zeigt sowohl artistische als auch gesangliche Klasse.

Aus einem Loch in der Saaldecke hängen zwei lange, weiße Stoffbahnen auf die Bühne. An ihnen gleitet ein athletischer Mann mit spielerischer Leichtigkeit zu Boden. Ebenso mühelos wird er später den Weg nach oben bewältigen.

Julie und Jean in der Neuen Oper Wien

“Julie und Jean. Ein Match in 12 Runden” heißt die letzte Oper des Wiener Komponisten Gerhard Schedl, der sich im Jahr 2000 im Alter von 43 Jahren das Leben nahm. Sie nimmt, nach einem Libretto von Bernhard Glocksin, Motive von August Strindbergs Drama “Fräulein Julie” auf. “Ein Paar ist einander verfallen. Sie begehren sich und können sich doch nicht erreichen”, so Schedl. “Das Ritual der Begierde, der Kampf um die Trophäe der Liebe ist ein gefährliches, ein lebensbedrohendes Spiel, das umschlägt in Vernichtung.”

In der Neuproduktion der Neuen Oper Wien wird aus dem intimen Kammerspiel ein aufwendiges Gesamtkunstwerk mit Sängern, Akrobaten und Chor, aus dem adeligen Fräulein eine selbstbewusste, im Leben stehende Upper-Class-Lady und aus dem Diener ein Baarkeeper mit Aufstiegsträumen. Aufstieg und Fall erfolgen in der Direttissima – mittels Vertikaltuchakrobatik, die sich in der Inszenierung des Venezolaners Carlos Wagner hervorragend in die Gesamtkonzeption einfügt.

Liebesakt in luftigen Höhen

Die Tänzer und Akrobaten Willi Lopes und Pamina Milewska übernehmen als “Traum-Jean” und “Traum-Julie” von den beiden Sängern dort, wo sie das Verlangen und Träumen buchstäblich den Boden unter den Füßen verlieren lässt. Auch der Liebesakt wird dabei zu einer hoch ästhetischen, in keiner Sekunde peinlichen Angelegenheit, umringt vom Wiener Kammerchor, der sich mehrfach von der zeitgenössischen Party-Gesellschaft in eine archaische, mit fantasievollen Masken und Kostümen ausgestattete rituelle Gemeinschaft wandelt. Andrea Cozzi zeichnet nicht nur für die mit Champagnerflaschen und Stoffstreifen markierte Bühne, sondern auch für die tollen Masken verantwortlich, Anna Kreinecker für die gelungenen Kostüme.

Adrian Eröd hat 1996 in einer Produktion der Neuen Oper Wien einen tollen Billy Budd gesungen. Mittlerweile ist der 48-jährige Bariton einer der wichtigsten österreichischen Sänger seiner Generation, Mitglied der Wiener Staatsoper und mit dem Berufstitel Kammersänger geehrt. Als Jean beweist er erneut, was ihn auszeichnet: eine warme, wohltönende Stimme, sängerische Präzision und darstellerische Präsenz. Sopranistin Anna Maria Prammer muss sich deutlich mehr anstrengen, um jene erotische Spannung zu erzeugen, aus der die alle soziale Stufen ignorierende und tragisch endende Verbindung entsteht.

Freilich lässt Schedls Musik, von Neue-Oper-Intendant Walter Kobéra mit dem amadeus ensemble-wien mit Verve dargeboten, auch wenig Raum für romantische Zweisamkeit. Sie forciert, treibt an und lässt, quasi unter Einsatz aller Mittel, keinen Zweifel am Exemplarischen des Geschehens, das weit über eine Privatsache hinausgeht. Sie beweist, dass Intelligenz und Opulenz einander keineswegs ausschließen. “Julie und Jean” wird so zu einem 100-minütigen Seh- und Hörgenuss. Viel Jubel am Ende der Premiere – und nur noch drei weitere Vorstellungen. Man sollte sie nicht versäumen.

(APA/red)

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