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Foto: © Herwig Prammer
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Tatjana Gürbaca inszeniert Georg Friedrich Händels „Alcina“ im Theater an der Wien

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Händel-Erfahrungen hat Tatjana Gürbaca. In Halle hatte sie vor zwei Jahren mit einer packenden Bühnenversion des Oratoriums „Jephta“ die dortigen Händefestspiele eröffnet. Das „Theater an der Wien“ ist ihr – nicht zuletzt durch ihren auf drei Teile komprimierten Nibelungen-Ring – vertraut, den man wohl – wenn nicht alles täuscht – getrost als Fingerübung für größere Aufgaben in Bayreuth ansehen darf.

Nun hat die deutsche Regisseurin in Wiens kleinerem, aber weitaus interessanterem Opernhaus Händels „Alcina" inszeniert. In diesem speziellen Fall hatte die nicht sehr barockaffine Staatsoper sogar mal die Nase vorn. Dort war die Zauberinnen-Oper vor acht Jahren mit Marc Minkowski die erste große Barockopernaktivität nach 50 Jahren. Insgesamt ist Barockoper aber das Metier des im Stagionemodus arbeitenden „Theaters an der Wien“.

Eigentlich geht es in Händels Zauberinnenoper darum, wie die mächtige Alcina mit den Männern umspringt. In echter (ins Weibliche gespiegelter) Macho-Manier sind die für sie nämlich nur Mittel zum Zweck. Wenn nicht für Liebe, so doch für ihre Lust. Hat sie von einem Exemplar der Gattung die Nase voll, wird es in ein Tier verwandelt und auf geht’s zum Nächsten. Auf diesem Wege hat sie es (unter den neidvollen Augen ihrer Schwester Morgana, die es ihr nachzumachen versucht, aber nicht über die Zauberkräfte verfügt und sich obendrein auch noch in eine nur als Mann verkleidete Frau verliebt!) zu einem beachtlichen Privatzoo gebracht. Bis ihr Ruggiero „passiert“. An dem liegt ihr offenbar mehr. Ausgerechnet der wird aber von seiner verlassenen Braut Bradamante zurückgeholt. In Begleitung von Bass Melisso spielt sie, als Mezzosopran, eine Frau, die sich als Mann verkleidet, auf Alcinas Insel einschleicht, um dort ihren Geliebten zurückzuerobern. Was auch gelingt. Der Preis: der Untergangs der Liebesinsel und der Zauberin. Typisch barock also.

Dieses Verwirrspiel, das seinerzeit häufig für die Bühnen verarbeiteten Motiven von Ariosts „Rasendem Roland“ folgt, bietet als Melange aus Liebe und Eifersucht, Leidenschaft und Melancholie eine Steilvorlage für ein Spiel mit Täuschung und Wahrheit. Und für Einblicke in die Seelenlage von Liebenden, einschließlich der von Alcina. 

Es ist fast schon verblüffend für eine Regisseurin wie Gürbaca, dass diese Geschichte bei ihr tatsächlich auf einer Insel spielt. Zwischen die öden Pappfelsen, die die Ausstatterin Katrin Lea Tag vor wolkigem Rundhorizont auf die Drehbühne gesetzt hat, dampft es immer mal und Alcina selbst muss ein paar einsame Blumen aus dem Boden zaubern. Der eine Baum verliert bei passender trüber Stimmungslage auch noch nach und nach sämtliche Blätter. 

Als wären wir auf Prosperos Insel, lässt Alcina (wieder mal) ein Schiff stranden. Der Schiffbruch wird mit einem Modellschiff vorgegeben und bald schon stolpern die beiden Schiffbrüchigen (Florian Köfler ist als Bradamantes Begleiter Melisso diesmal ein Forschungsreisender) über das holprige Gelände. Sie laufen der Schwester der Zauberin Morgana geradewegs in die Arme. 

Von dieser ersten Begegnung an erzählt Gürbaca die Geschichte erstaunlich gradlinig mit ein paar Ausschmückungen, aber ohne allzu viel erkennbaren Ehrgeiz, in den Subtext der Geschichte über die Verwirrung der Gefühle und ein Begehren, das sein Gegenüber verfehlt, abzutauchen. Dass sich in einer spielerischen Szene zur Ouvertüre die Männer noch danach drängeln, von ihr in Tiere verwandelt zu werden, bleibt eine Episode. Bei der großen Befreiung am Ende jedenfalls erinnert sich daran niemand mehr. Die Protagonisten legen beim Beziehungshin und -her zwar gelegentlich ihre Maske, sprich einen Teil ihrer Kleidung ab, wechseln dabei aber nicht wirklich den melancholisch grundierten Aggregatzustand ihrer Gefühle. 

Da wirkt das eine drastische Bild des im wahrsten Wortsinn herausgerissenen Herzens, mit dem Oronte (mit überraschender vokaler Beweglichkeit: Rainer Trost) seine von Eifersucht gepeinigten Liebe zu Morgana in ein grelles Licht rückt, geradezu hysterisch. Selbst wenn sich Morgana von Jetzt auf Gleich in den falschen Ritter Riccardo verliebt, der ja nur die verkleidete Bradamante ist.  … 

Auch wenn Tatjana Gürbaca mit dieser – sagen wir wohltemperierten – Deutung hinter den Erwartungen, die sie selbst mit der Radikalität ihrer Ring-Trilogie an diesem Haus geweckt hat, zurückbleiben mag, überzeugt der Abend mit seiner inneren Stimmigkeit. 

Marlis Petersen ist eine vokal standfeste Titelheldin, muss für ihre Alcina nicht mal ihr beachtliches darstellerisches Potential für diese Studie über verlorene Liebesmüh oder den Wechsel von Trauer in Wut beim Verlassenwerden aufbieten. Dass sie ihren verzauberten Liebhaber Ruggerio dazu bringt, sich dauernd bis auf die schwarze Unterwäsche auszuziehen, bräuchte wahrscheinlich keine echten Zauberkräfte. Da Ruggiero mit dem australischen Counter David Hansen besetzt ist, entfällt jede Hosenrollenirritation, die sich bei einer Mezzokollegin in dieser Rolle einstellen würde. So kann er koloratursicher glänzen und bei der berühmten Arie „Sta nell‘ircana“ mit Bravour-Furor auftrumpfen. So bleibt es bei der einen handlungsbedingten Verkleidung der überzeugenden Mezzosopranistin Katarina Bradić von Ruggieros Verlobter Bradmante in den angeblichen Ritter Riccardo, in den sich Morgana verliebt. In dieser Rolle ist Mirella Hagen die hübsche, vokal etwas schlanke, kleine Schwester der Zauberin. 

Im Graben liefern Stefan Gottfried (sozusagen in den Fußstapfen seines großen Vorgängers Nikolaus Harnoncourt) und die Musiker des Concentus Musicus einen vor allem geschmeidigen, einschmeichelnd atmosphärischen, mehr die Melancholie betonenden, als den Furor ausspielenden Händelklang.

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