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Premiere in der Oper Leipzig

Ulf Schirmers und Cusch Jungs „Fanciulla del West“ in der Oper Leipzig gefeiert

Die Erste Premiere der Spielzeit 2018/19 in der Oper Leipzig: Cusch Jung inszeniert Giacomo Puccinis "La fanciulla del West“  Die musikalische Leitung liegt in den Händen des Intendanten und Generalmusikdirektors Ulf Schirmer.

Die Erste Premiere der Spielzeit 2018/19 in der Oper Leipzig: Cusch Jung inszeniert Giacomo Puccinis "La fanciulla del West“ Die musikalische Leitung liegt in den Händen des Intendanten und Generalmusikdirektors Ulf Schirmer.

Leipzig. Wahrscheinlich ist die Antwort auf die Frage, warum sich Puccinis 1910 in New York uraufgeführte Wildwest-Oper „La fanciulla del West“ nie hat durchsetzen können, doch ganz einfach: Seit 108 Jahren wiederholt so ziemlich jeder ungefragt den Befund, hier sei alles ganz anders als in den Erfolgswerken „Bohème“, „Tosca“, „Butterfly“. Das ist nicht falsch. Aber die Neuproduktion an der Oper Leipzig, die am Samstagabend lautstark akklamierte Premiere feierte, zeigt: Es ist eben auch nicht richtig.

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Gewiss war nie mehr Debussy in Puccini, und sein „Salome“-Erlebnis hinterließ tiefe Spuren. Dennoch kann von einem stilistischen Bruch nicht die Rede sein. Die pumpelmunteren wie die sentimentalen Genreszenen gab’s in „Bohème“, die übermäßigen Akkorde und unaufgelösten Dissonanzen in „Tosca“, die schillernde Koloristik in „Butterfly“. Schon vorher klinkten sich die Solisten nur partiell in die weiten Bögen des Orchesters. Und den Tenor- und Sopran-Hits hat Puccini bereits in der Erfolgstrias die geschlossene Form verweigert, um Zwischenapplaus zu vermeiden. So erfolglos wie in „Fanciulla“, was die Leipziger Premiere eindringlich zeigt. Nein, Puccini hat nicht neu angefangen, sondern sich folgerichtig weiterentwickelt. Und wem „La Bohème“ ans Herz fasst, „Tosca“ an die Gurgel und „Madama Butterfly“ ans Gemüt, der kommt auch mit dem „Mädchen aus dem Goldenen Westen“ auf seine Kosten.

Auf der Höhe der Zeit

Voraussetzung ist allerdings eine Produktion, die nicht auf Teufel komm' raus die Andersartigkeit dieser Oper betont. Und ein Dirigent, der nicht das Kind mit dem Bade ausschüttet vor lauter Begeisterung angesichts der bemerkenswerten Modernität, vor lauter Freude an der Mixtur, der Dissonanz, der freitonalen Avanciertheit der Emotion ihr Recht verweigert. Leipzigs Intendant und Generalmusikdirektor Ulf Schirmer glättet nichts und zeichnet nicht weich. Auch bei ihm behält "La fanciulla del West" den herben Grundton. Doch verliert er bei aller Lust an Detail und Zuspitzung nie das Ziel aller kompositorischen Kunstfertigkeit auf der Höhe der Zeit aus den Augen: die Seele.

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In der Tat spielt in „Fanciulla“ das Orchester eine Hauptrolle. Aber anders als in Debussys „Pelléas et Mélisande“ ist das Ergebnis kein sinfonisches Epos mit eingewobenen Gesangspartien, sondern steht als pralle italienische Oper satt im Saft. Denn obschon oft dem Orchester der vollständige Satz vorbehalten bleibt, ist die Rollenverteilung klar: Der Gesang will so subtil begleitet werden, getragen, gestützt, gehätschelt und getätschelt wie in jeder anderen italienischen Oper auch.

Schirmer gelingt diese Quadratur des Kreises mit verblüffender Selbstverständlichkeit. Das fett besetzte Gewandhausorchester um Konzertmeister Sebastian Breuninger lässt (fast) keine Chance ungenutzt, seine derzeitige Klasse unter Beweis zu stellen. Üppig, sensibel, farbsatt, filigran, machtvoll und zärtlich folgt es dem Chef in die feinsten Verästelungen dieser schillernden und krachenden, flirrenden und tänzelnden, liebkosenden und drohenden, zärtlichen und brutalen Partitur. Doch drängt sich dieses Klangtableau nie so sehr in den Vordergrund, dass es von der Bühne ablenkte oder die Sänger überdeckte.

Die Hauptpartien Minnie, die Schankwirtin, Johnson, der Bandit, und Rance, der Sheriff, sind mit Meagan Miller, Gaston Rivero und Simon Neal ohnehin durchsetzungsfähig besetzt. Aber Schirmer ermöglicht es den dreien, sich vor allem auf die Zwischentöne zu konzentrieren. Denn er gestaltet auch in dieser gleichsam sinfonischen Oper jeden instrumentalen Ton mit Blick auf die Bühne.

Eine Minnie, der man alles glaubt

So kann Meagan Miller eine Minnie zeichnen, der man alles, wirklich alles glaubt. Was keine Selbstverständlichkeit ist angesichts dieser seltsam kolportagehaften Mischung aus Heimchen am Herd und Hetäre, die in rauer Männergesellschaft zwischen Bibel und Beretta wechselt. Üppig prunkt ihr Sopran mit immer neuen Farben, die Miller nicht mit dem Quast aufträgt, sondern fein dosiert, was die sparsam gesetzten explosiven Höhepunkte um so wirkungsvoller macht.

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Gaston Rivero ist ihr ein ebenbürtiger Partner. Weich und hell ist sein Tenor, höhensicher und wandelbar. So gesungen schließt Puccinis Musik alle Lücken, die das wenig überzeugende Libretto offen ließ. Was auch für den fabelhaften Simon Neal gilt, der den Sheriff mit seinem so schönen wie kraftvollen Bariton nicht als Dämon zeichnet, als wild gewordenen Wildwest-Scarpia, sondern der Machtgeilheit eines Getriebenen die richtigen Töne und Farben leiht. Gerade weil dieser Jack Rance nicht rund heraus böse klingt, sondern verletzt, ist er umso gefährlicher. Überhaupt: Von Patrick Vogel als Nick und Randall Jacobsh als Ashby, Jonathan Michie als Sonora und Sejong Chang als Wallace bis hinunter zu Roland Schubert, der in der Mini-Partie des von Heimweh zerfressenen Larkens die schiere Luxus-Personalie ist, lässt die Besetzung nichts anbrennen. Überdies verschwimmen bei den zahllosen kleinen Rollen die Grenzen zwischen Solisten und sensationellem Chor (Einstudierung: Alexander Stessin und Thomas Eitler-de Lint).

Was sich auch der Personen-Regie Cusch Jungs verdankt. Ihm ging es ebenfalls nicht darum, "La fanciulla del West" gegen den Genre-Strich zu bürsten. Er unterstreicht ihre Modernität, indem er die Oper in den schönen Bühnenbildern und Kostümen von Karin Fritz ins Heute holt, in die Schwarzkaue eines Bergwerks im ersten, an Trumps Mexiko-Mauer im dritten Akt. In diesem Umfeld erzählt er sauber die Geschichte, die Puccini in Töne goss – psychologisch plausibel bis zum bitter gebrochenen Happy End.

Ziemlich große Inszenierungskunst

Im Mittelakt, wo zuerst Minnie und Johnson in der Hütte der resoluten Schankwirtin zueinanderfinden und sie schließlich mit dem vor Begehren, Hass und Eifersucht rasenden Sheriff um das Leben des Geliebten pokert, können das viele andere auch: eine Dreiecksgeschichte – Theaterroutine. Die Außenakte allerdings sind kleinteilig aufgebrochene Tableaus auf dicht bewohnter Bühne. Und wie Cusch Jung hier bei seinem Operndebüt die Goldgräber nicht in Halbkreisen auf die Bühne stellt und das Publikum anbrüllen lässt, sondern aufbricht in Individuen, das ist schon ziemlich große Inszenierungskunst.

Eine verdammt gute Produktion, diese „Fanciulla del West“. Wer Puccini mag, wird hier alles finden, um an Herz, Gurgel und Gemüt berührt und reich beschenkt mit wunderbaren Ohrwürmern heimzugehen. Wer Puccini nicht mag, wird überrascht sein, wie gut diese Musik ist, wie modern, wie elegant, wie sinnlich und wie klug. Man sollte sie nicht verpassen, diese zweidreiviertel Stunden, die rundum rätselhaft erscheinen lassen, dass diese wunderbare Oper sich seit 108 Jahren schwertut beim Publikum.

Vorstellungen: 3., 6., 28. Oktober; 10., 24. November, 2. Dezember; Karten (15–78 Euro) erhalten Sie u.a. bei der Ticketgalerie im LVZ Foyer, Peterssteinweg 19, im Barthels Hof, Hainstr. 1, in unseren Geschäftsstellen, über die gebührenfreie Ticket Hotline 0800 2181050 unter www.ticketgalerie.de oder an der Opernkasse sowie unter Tel. 0341 1261261.

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Von Peter Korfmacher

LVZ

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