Das beliebte Verismo-Doppel "Cavalleria rusticana" und "Pagliacci"/"Bajazzo" gab es auch hierzulande schon öfter: So hatte zum Beispiel der Grazer Schauspieldirektor Marc Günther 1998 bei seinem Debüt im Opernhaus die beiden blutrünstigen Geschichten verdichtet. Und Philipp Stölzl inszenierte sie en bloc bei den Salzburger Osterfestspielen 2015.

Mit diesen zwei Werken in einer verbindenden Inszenierung erfüllte sich nun auch für Oksana Lyniv ein persönlicher Wunsch. "Die beiden Opern sind Höhepunkte des italienischen Repertoires mit überwältigenden Emotionen“, hatte sich die 40-jährige ukrainische Chefdirigentin schon bei der Spielzeit-Präsentation auf ein "musikalisch mitreißendes Ereignis" gefreut. Und auch Chefdramaturg Jörg Rieker versprach im Vorfeld einen großen Musiktheaterabend, für den Lorenzo Fioroni, der 2016 „Die Griechische Passion“ von Bohuslav Martinů imposant inszeniert hatte, „ein sehr anspruchsvolles, sinnliches Konzept für die Geschichte von Eifersucht und Rache erdacht hat".

Versprochen, gehalten.

Gott breitet in den Wolken seine Arme aus. Seine Herde unter ihm auf dem Bühnenbild-Fresko ist quasi eine Spiegelung des Opernensembles im Graben und auf der Bühne. Mascagnis Welterfolg "Cavalleria rusticana" aus 1890 siedelt Lorenzo Fioroni irgendwo zwischen Fellini'schem Volksfest und sizilianischer Telenovela an. Der Schweizer Regisseur erzählt das Eifersuchtsdrama zwischen dem Kriegsheimkehrer Turiddu (großartig Aldo Di Toro), seiner Geliebten Santuzza (sehr präsent, aber etwas eindimensional Ezgi Kutlu), seiner früheren Verlobten Lola (spielfreudig und keck Mareike Jankowski) und deren jetzigem Mann, dem reichen Alfio (gut Audun Iversen), als Alltagsgeschichte einer Gemeinschaft, in der sich jeder hinter diesem Kollektiv versteckt und sich nur einmal individuell häutet – indem in einem verblüffenden Bruch der Handlung etliche von ihnen (aus dem von Bernhard Schneider hervorragend einstudierten Chor und Extrachor) vor ein Mikrophon treten und über ihre individuellen Sorgen, Ärgernisse oder Wünsche erzählen, vom Frauenfußball über Vögel bis zum leeren Briefkasten. Aber jeder kämpft mit seiner Schuldhaftigkeit, und für Turiddu wird sie im Duell mit Alfio tödlich bestraft.

Gott sitzt mit roter Pappnase in einer Wolke. Seine Herde unter ihm vollführt eine Danse macabre, mit falschen Engeln und Bischöfen, siamesischen Todeszwillingen und grinsenden Skeletten, Figuren auf Stelzen mit Pestnasen oder wie einem Bruegel-Gemälde entsprungen, dazu Sarg und Kranz, Krone und Monstranz. Diese Freakshow, die Fioroni in Leoncavallos Zweiakter "Pagliacci" aus 1892 antanzen lässt, verdeutlicht von Beginn an: Die Gauklertruppe treibt einer Tragedia dell'arte zu. Auch hier wird das Gift namens Eifersucht geträufelt: Der Harlekin Tonio (der norwegische Bariton Audun Iversen steigert sich in dieser Rolle prächtig) blitzt bei Nedda ab. Diese wird fein gesungen von Aurelia Florian in einer Rolle à la Sophia Loren, die ins Messer der Intrige läuft – der dunkel grundierte Sopran des Ensemble-Neuzugangs aus Rumänien wird gewiss noch viel(en) Freude bereiten. Toni verrät daraufhin Neddas Mann, dem Komödienleiter Canio (alles überstrahlend der Australier Di Toro mit seinem kernigen, nimmermüden Tenor), deren heimliche Liebschaft mit Silvio (überzeugend Neven Crnić). Nach einer Video-Sequenz mit dem irritierten Canio und einem burlesken Spiel im Spiel in einer 70er-Jahre-Küche geht wie in der "Cavalleria" auch hier alles dem Abgrund zu: Der Mensch fällt tief, wenn er zu hoch greift.

Ein fantastisches Bühnenbild (Paul Zoller), faszinierende Kostüme (Annette Braun), ein rätselhafter Clown als verbindendes Element (Jörn Heypke), ein hoher Gast in der Rolle von Turiddus Mutter Lucia, früher als angekündigt eingesetzt (Grande Dame Cheryl Studer). Dazu ein blendend aufgelegtes Orchester, das unter seiner hoch engagierten und fein austarierenden Chefdirigentin Oksana Lyniv beide emotionsreichen Partituren mit großer Bandbreite durchmaß... Heißt in Summe: Das Opernhaus Graz hat einen hervorragenden Start hingelegt und bis in den Juni hinein einen (doppelten) Erfolgsgaranten auf dem Spielplan. Großer Jubel jedenfalls bei der Premiere für den imposanten Auftakt mit den Sternenzwillingen am Himmel der Verismo-Oper.

Pagliacci: Audun Iversen (Tonio), Aurelia Florian (Nedda)
Pagliacci: Audun Iversen (Tonio), Aurelia Florian (Nedda) © Werner Kmetitsch