Mozarts „Figaro“ in Mainz gefeiert

Knallige Commedia dell´Arte-Figuren bestimmen bei der Aufführung in Mainz das Bild. Foto: Andreas Etter
© Andreas Etter

Elisabeth Stöpplers Inszenierung der Oper „Le nozze di Figaro“ überzeugt am Staatstheater Mainz unter anderem durch überschäumende Spielfreude.

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MAINZ. Eine pralle Sicht auf Mozarts „Le nozze di Figaro“ legt Hausregisseurin Elisabeth Stöppler am Staatstheater Mainz vor. Knallige Commedia dell´Arte-Figuren treffen auf Revolutions-Chöre, dralle Stegreif-Burleske trifft auf tragischen Liebesverlust, absolutistischer Standesdünkel auf moderne Power-Frauen. Als Ergebnis begeistert dieser „Figaro“ mit Klugheit, Witz und überschäumender Spielfreude.

Mozarts „Toller Tag“ beginnt in Mainz bereits mit einer pantomimisch bebilderten Ouvertüre. In munter überdrehten Kostümen fassen die Sänger die Kernessenz des vorrevolutionären Da Ponte-Librettos gestisch zusammen. Den gesamten ersten Akt über stecken sie im bühnenbreiten Holzkasten Annika Hallers fest und werden von Susanne Maier-Staufens Roben in gesellschaftliche Zwänge eingeschnürt. Der Effekt ist natürlich enorm, als zu Beginn des zweiten Aktes die Gräfin Almaviva in ihrer bitteren Cavantine „Porgi, amor, qualche ristoro“ als erste ihre Halbmaske an den Nagel hängt.

Nach vielen Reflexionen, unüberwindbar scheinenden Hindernissen, Intrigen und Überraschungen sprengen die brodelnden Gefühle zwischen Figaro und Susanna schließlich die Beziehungsholzkiste. Die Rückwand fällt und mit ihr jede Form von emotionalen Verstellungen. Die Gräfin verzeiht zwar dem ungetreuen, „Perdono“-stammelnden Gemahl, hat aber als Frau von heute mit gepackter Reisetasche bereits einen Schlussstrich unter diese Ehe gezogen. Der erotisch verwirrte Cherubino wird seinerseits übergriffig und mutiert zum neuen Grafen. Mit den lodernden Revolutionsfackeln im Bühnenhintergrund fordert Stöppler in der letzten Szene die Veränderung der erotischen und gesellschaftlichen Machtverhältnisse bis in den heutigen Tag hinein.

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Der umtriebigen Hausregisseurin steht allerdings auch eine fantastische elfköpfige Besetzung zur Verfügung. Allen voran überzeugen stimmliche Leichtigkeit und quirlige Spiellust Alexandra Samouilidous als Susanna, der Nadja Stefanoff in der Rolle der Gräfin mit vokaler Fülle und tragischer Größe in nichts nachsteht. Auch die beiden Ehemänner sind phänomenal: Stephan Bootz Figaro fällt mit emotionaler Wucht und auf Geheiß handzahmer Artigkeit auf, während Brett Carters Graf das ganz große Pfauenrad dreht: von Sado-Maso-Geilheit über eifersüchtigen Kontrollwahn bis hin zur scheinbar demütigen Verzeihungsgeste. Auch Gudrun Pelkers intrigante Marcellina, Stefan Stolls knolliger Bartolo und Johannes Mayers halbblinder Don Cuzio laufen am Premierenabend zu großer Form auf.

Für Gastsängerin Solenn‘ Lavanant-Linke als Cherubino hat sich Stöppler eine besondere Volte einfallen lassen. Sie inszeniert ihn nicht nur als witzigen Brandbeschleuniger aller neuen und alten Liebesgeschichten, sondern stellt auch seine allmähliche Wandlung zum künftigen Täter überzeugend aus. Lavanant-Linke wiederum sorgt mimisch für die packendsten Momente des Abends. Als sie von Susanna und der Gräfin zum Mädchen verkleidet wird, evoziert sie mit ihrem männlichen Habitus in Frauenkleidern Heiterkeitsausbrüche im Publikun, um im Anschluss als entdeckter Mann vom eifersüchtigen Grafen und Figaro fast zu Tode gebracht zu werden. Auch Steven Ebel als Dauer-Arlecchino Basilio kommt eine Sonderrolle zu. Seine Verletzlichkeit wird er in der Rolle des ewigen Hofopportunisten hinter der Maskerade verbergen.

Der in Mainz debütierende finnische Gastdirigent Valtteri Rauhalammi legt anfangs ein ambitioniertes Tempo vor, das eher stresst als elektrisiert. Nach anfänglichen Hakeleien zwischen Graben und Bühne findet er aber bald zu einem natürlich beschleunigten Puls und weiß auch die großen Arien der Gräfin glutvoll auszugestalten. Im Verein mit dem Mal unterwürfigen, mal revolutionär aufmuckenden Chor ergibt sich ein stimmiges Opera buffa-Gesamtbild.

Von Bettina Boyens