Von Zauberklang ist nichts zu hören: Die neue Intendanz an der Staatsoper Stuttgart startet wuchtig, aber wenig überzeugend

Mit «Lohengrin» von Richard Wagner beginnt das neue Leitungsteam an der Stuttgarter Oper seine Arbeit. Das Ergebnis bereitet Sorgen.

Marco Frei, Stuttgart
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Eine Art «deutschen Belcanto» hatte Wagner im Sinn, als er am «Lohengrin» arbeitete. In der Stuttgarter Inszenierung ist davon nicht viel zu spüren. (Bild: Matthias Baus)

Eine Art «deutschen Belcanto» hatte Wagner im Sinn, als er am «Lohengrin» arbeitete. In der Stuttgarter Inszenierung ist davon nicht viel zu spüren. (Bild: Matthias Baus)

Neuerdings liegt München auch in Stuttgart. Jedenfalls erscheint manches an der Staatsoper Stuttgart mit dem jetzigen Wechsel der Intendanz wie eine abgespeckte Version der Bayerischen Staatsoper. Obwohl Viktor Schoner als neuer Opernintendant in Stuttgart gerade erst durchstartet, vollzieht sich bereits ein Wandel der Ästhetik – mit deutlicher Orientierung am Münchner Nationaltheater. Dort wirkte Schoner von 2008 bis 2017 als künstlerischer Betriebsdirektor.

Wie sehr Schoner von der Zeit an der Isar offenbar geprägt ist, zeigte seine erste Premiere als neuer Intendant: «Lohengrin» von Richard Wagner. Schon die Aufmachung der Programmbücher erinnert an Münchner Verhältnisse. Zwar fallen sie weniger umfangreich aus als an der Bayerischen Staatsoper, sind aber ähnlich bilderreich – und im Grunde inhaltsleer. Unter dem Vorgänger Jossi Wieler waren die schmalen Hefte strikt auf die jeweilige Regiearbeit fokussiert – sinnstiftend, ganz ohne Schnickschnack. Weit mehr Anlass zur Besorgnis gibt eine andere Beobachtung: Auch die eigenständige Stuttgarter Regiehandschrift scheint Vergangenheit zu sein.

Ohrenbetäubend

Das Gros der Regisseure, die sich in der ersten Spielzeit Schoners verwirklichen dürfen, ist ebenfalls bestens von der Bayerischen Staatsoper bekannt. Das gilt auch für Árpád Schilling, der jetzt die Neuproduktion des «Lohengrin» inszenierte. Sein Operndebüt hatte der Theatermacher aus Ungarn 2012 am Münchner Nationaltheater, mit Verdis «Rigoletto».

Von diesem Münchner «Dunstkreis» ausgenommen ist allerdings Cornelius Meister. Als neuer Generalmusikdirektor in Stuttgart leitete er die «Lohengrin»-Premiere. Der junge Dirigent aus Hannover hat bereits eine eindrückliche Karriere hingelegt. Seit 2010 wirkt er beim Rundfunk-Sinfonieorchester in Wien. Es sind gewaltig grosse Fussstapfen, in die Meister da tritt. Immerhin beerbt er Sylvain Cambreling, der das Staatsorchester Stuttgart zu einer agilen, überaus differenzierten Klangkultur geführt hat.

An der «Lohengrin»-Premiere blieb davon leider nicht viel übrig. Mit stellenweise geradezu brachialer, ohrenbetäubender Gewalt liess Meister die Effekte zügellos schärfen, zumal in den Blechbläsern. Im Finale des zweiten Aufzugs wurde von den Zuschauerrängen herab in den Saal geschmettert. Das alles entfachte fraglos eine ungeheure Energie und Präsenz, wurde aber der farbenreichen, glasklar gesetzten Partitur stilistisch kaum gerecht – am wenigsten an jenen Stellen, wo eigentlich ein luzider, stiller «Zauberklang» erwachsen sollte.

Überdruck statt Belcanto

Schon zu Beginn des Vorspiels hatte das Orchester unter Meister hörbar Mühe, den zarten Klang im Streicher-Diskant präzise und rein herauszuarbeiten. Erst im Verlauf gelangen hellhörige Momente, wovon nicht zuletzt die «Gralserzählung» von Michael König in der Titelpartie profitierte. Sonst aber herrschte grösstenteils ein «Überdruck» vor, der an die Stuttgarter Zeit von Manfred Honeck erinnerte – dem Vorgänger Cambrelings.

Ob Simone Schneider als Elsa und Goran Jurić als deutscher König Heinrich der Vogler, Okka von der Damerau in der Partie der Ortrud oder Martin Gantner als Graf Friedrich von Telramund: Über weite Strecken mussten die Solisten gegen die Übermacht von Orchester und Chor ankämpfen, mit dickem, sattem Timbre. Dabei hatte Wagner schon im «Lohengrin» einen dezidiert lyrischen Schöngesang im Sinn, den er später als deutsche Spielart des italienischen Belcanto auffasste. Das belegen nicht nur die fein ausgewogenen Verhältnisse zwischen dem Gesang und dem Orchester in der Partitur, sondern auch Zeugnisse und Dokumente aus der Zeit Wagners – darunter Probenberichte.

Ein weisser Kreidekreis

In Meisters zelebrierter «Überwältigung-Maschinerie» machte sich diese ursprüngliche Idee des Vokalstils weitestgehend rar. Dafür aber rettet sein direktes, überaus präsentes Dirigat eine Inszenierung, die sich oftmals leerzulaufen droht. Wie schon in seinem Münchner «Rigoletto» entwirft Schilling den Stuttgarter «Lohengrin» als karges Kammerspiel. Die Bühne von Raimund Orfeo Voigt ist sparsam ausgestattet und in Schwarz gehalten. In der minimalistischen Reduktion erinnert Schillings «Lohengrin» an den dänischen Dogma-Film «Dogville» von Lars von Trier aus dem Jahr 2003.

Nur die Kostüme von Tina Kloempken setzen einige farbliche Kontraste, sonst aber beherrscht ein weisser Kreidekreis die Szene. In ihm kämpfen im ersten Aufzug Lohengrin und sein Widersacher Friedrich von Telramund miteinander, und hierin schlägt Schilling freilich eine Brücke zum «Kaukasischen Kreidekreis» von Bertolt Brecht. Dabei interessiert sich Schilling – wie so oft in seinen Arbeiten – vor allem für die Frage nach der Verantwortung der «Masse Mensch».

Für Schilling ist dies inzwischen zu einer Frage der Existenz geworden, denn: Vor einem Jahr wurde er von dem Ausschuss für Nationale Sicherheit des ungarischen Parlaments zum «potenziellen Vorbereiter staatsfeindlicher Aktivitäten» erklärt. Die Regie Schillings entwickelt gerade in jenen Momenten eine grosse Kraft, in der das Volk von Brabant selber auf dem Prüfstand steht.

Holpriger Start

Schilling zeichnet eine blinde Masse, die sich selber unmündig macht und jede Verantwortung von sich weist. Schliesslich wird einzig Elsa dafür schuldig gesprochen, dass der «Heilsbringer» Lohengrin entschwindet – weil sie ihm die verbotene Frage nach dessen Herkunft gestellt hat.

Am Ende kauert Elsa am Boden. Das Volk rückt ihr bedrohlich näher, sie verteidigt sich mit einem Messer, bis der Vorhang fällt. Dieses Finale ist der stärkste Moment in einer Inszenierung, der es sonst an einem konzisen Diskurs mangelt. Genau dafür stand aber bisher mehrheitlich die Staatsoper Stuttgart, damit hat sie sich zu einer führenden Bühne entwickelt. Das neue Team um Schoner und Meister hat fraglos das Recht, sich erst zu finden. Allerdings bleibt diese erste Produktion weit hinter den Erwartungen zurück – musikalisch wie szenisch.