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Ein pathologischer Fall

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Ist er womöglich doch ein Gewalttäter? Sara Jakubiak als Marietta und Ales Briscein als Paul.
Ist er womöglich doch ein Gewalttäter? Sara Jakubiak als Marietta und Ales Briscein als Paul. © Iko Freese / drama-berlin.de

Erich Wolfgang Korngolds "Die tote Stadt" gerät an der Komischen Oper Berlin etwas spröde.

Robert Carsen hat sich diesmal in eine nicht völlig abwegige, aber auch nicht naheliegende Überlegung verstrickt. In der Tat: Verstrickung, wenn nicht gar Ein-sich-Hineinsteigern ist das Thema, wenn Erich Wolfgang Korngolds Oper „Die tote Stadt“ gespielt wird. Kanadier Carsen, der als Regisseur Nachdenklichkeit mit optisch geschliffener Schönheit zu verbinden pflegt (nicht zuletzt, weil er sein eigener Beleuchter ist), hat sich also in die Frage verstrickt, woran Marie gestorben ist. Sie war ja noch jung. 

Carsen bringt nun in der Komischen Oper Berlin – sehr diskret, sehr vage – die Möglichkeit ins Spiel, dass ihr Mann Paul etwas damit zu tun haben könnte. Man sieht ihn in einem sekundenlangen Eingangsbild über einer auf dem Teppich liegenden Frau, in den späteren Geistererscheinungen (keine Panik: Videoprojektionen) zeigt sich seine große, recht besitzergreifende Hand an ihrem Haar, an ihrem Hals. Die Ermordung von Maries optischer Wiedergängerin Marietta löst sich sodann auch nicht in jenem Traum auf, der bei Korngold und in der Romanvorlage Georges von Rodenbachs zu der psychischen Befreiung eines anhaltend trauernden Mannes führt. Als er hier erwacht, liegt die Leiche Mariettas weiterhin auf dem Teppich, just da, wo eingangs Marie gelegen hat. Freund Frank und Haushälterin Brigitta tragen in Berlin dazu die üblichen weißen Kittel, und es ist geradezu rührend, wenn Carsen im Programmheftinterview meint, die Idee der Traumlösung sei zur Entstehungszeit der Oper sicher eine „durchaus aufregende Wendung“ gewesen, während er die Wendung ins Psychiatrische offenbar heute aufregender findet. Womöglich ist aber das Gegenteil der Fall und nimmt man nicht nur der Oper etwas, sondern auch dem Publikum einer aufgeregt schnell mit Gefühlen umgehenden Zeit, wenn man Pauls gar nicht so maßlose, einfach so tiefe Trauer nicht einfach einmal sein lässt, was sie ist.

Es kommt die Merkwürdigkeit dazu und gibt der Skepsis recht, dass der Abend tatsächlich Schwierigkeiten hat so zu zünden, wie es dem Geniestreich des 23 Jahre alten Korngold eigentlich leicht fällt, 1920 uraufgeführt, durch die Verfemung des jüdischen Komponisten in der NS-Zeit nachhaltig vergessen, inzwischen aber auf die Spielpläne zurückgekehrt (großartig im letzten Winter etwa David Böschs verstörende Geistererzählung in Dresden). Dabei geht Carsen elegant und mit gewohnter Zurückhaltung vor. Die hohen Wände des spröden Schlafzimmers (Bühne: Michael Levine) sind bald schon ganz verrückt, auch das Zimmer selbst dreht sich, eine Welt aus den Fugen. An einen Surrealismus nach Art René Magrittes lässt sich denken angesichts der kargen, strengen Verschiebungen des Gewohnten, dazu Flächen durchquert von Männern mit Hut. Petra Reinhardts Kostüme drängen sich nicht in den Vordergrund, aber sie signalisieren Zwischenkriegszeit. Für den phantasmagorischen Auftritt von Marietta und ihrer Truppe – wie bei allen Szenen geht es in Berlin quer durchs Zimmer, dem Carsens Paul durch alle Akte hindurch so wenig entkommt wie Böschs in Dresden – gibt es das Mobiliar noch einmal in der Glitter-Variation. Eine zeitgemäße 20er-Jahre-Kabarettnummer mit herrlich elastischen Tänzern (Choreografie: Rebecca Howell) wird hier geboten, Lichtjahre von Pauls Welt entfernt, aber nicht von der Entstehungszeit der Oper. Die Notwendigkeit, Kontraste zu schaffen, löst Carsen jedenfalls auf seine Weise. 

Nun ist seine wie immer eher kühle Inszenierung vermutlich eher dazu geeignet, eine überbordende Musik zu erden beziehungsweise sich von ihr emportragen zu lassen. Ja, genau: Es ist wahrlich eine Inszenierung für eine Korngold-Oper. Insofern trifft es sich nicht gut, dass das Einstandsdirigat des neuen Komische-Opern-Generalmusikdirektors Ainars Rubikis unerwartet trocken ausfällt. Selbst wenn man – was einseitig nicht sehr sinnvoll wäre – die Süße mindern und die reichhaltig vorhandene, an Richard Strauss orientierte, aber eigene Wege gehende Moderne nach vorne schieben wollte, müsste das Ergebnis gerade dann nicht so pauschal ausfallen wie hier über weite Strecken. Statt flirrender Farben, komplexer Einzelheiten und eines Aufblühens – hier offenbar in eins gesetzt mit Lautstärke – baute sich ein recht sprödes Massiv auf. Und war nicht dazu geeignet, die exzellenten Sänger durch ihre anspruchsvollen Partien zu tragen. Im Gegenteil: Lange nicht mehr ein solches Ansingen gegen einen übermächtigen Orchesterapparat erlebt. Es schien allerdings in der Premiere auch noch Verständigungsprobleme zwischen Bühne und Graben zu geben, mit einem gelegentlich stärkeren als ästhetisch zweckmäßigen Auseinanderdriften der Ereignisse.

Eine Folge war, dass selbst die fulminante Sara Jakubiak – Zentrum der unvergessenen Frankfurter „Passagierin“, ohne die zudem das „Wunder der Heliane“ an der Deutschen Oper Berlin in diesem Frühjahr kaum möglich gewesen wäre – als Marietta etwas blasser blieb als gewohnt. Golden genug aber ihre große, weiche Stimme, lebendig, fit, vielleicht eine Spur routiniert ihr Spiel. Aber Marietta ist nicht erst seit gestern im Showbiz, und sie wird hier nicht wichtiger gemacht, als sie ist. Überwältigend Jakubiaks ernstes, ruhiges Marie-Gesicht im Video, überwältigend ihr flacher, mysteriöser Geistergesang, den das Orchester mit wenig Zauber umhüllt. 

Knallhart die Partie des Paul, der noch  mit der deutschen Aussprache kämpfende Tscheche Ales Briscein macht es an sich wunderbar, kraftvoll, mit sehr hellem Timbre und in den permanent erforderten Höhen fast mühelos, wenn auch mit einigen verblüffend missratenen Registerwechseln (mit manchem dadurch nachgerade lächerlich wirkenden „Marie“-Ausruf). 
Sehr überzeugend ist ferner Günter Papendell als von unten beruhigend auf den verstörten Tenor einwirkender Freund Frank und auch als Komödiant Fritz, der einen der beiden Hits der „Toten Stadt“ singt, „Mein Sehnen, mein Wähnen“. Der andere, „Glück, das mir verblieb“, gehört Marietta und Paul, die in Berlin auch absolut willens und in der Lage schienen, ihn mit der gebotenen Zartheit zu präsentieren.

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