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Kritik - "Catch me if you can" Nürnberg "Das Leben live und ganz in Farbe genießen"

Am Ende muss er 15 Jahre in den Knast, wird aber wegen "guter Führung" vorzeitig entlassen: Frank W. Abagnale Jr. ist Scheckbetrüger und Hochstapler, aber alle Herzen fliegen ihm zu - auch am Staatstheater Nürnberg in der Regie von Gil Mehmert. Das Musical "Catch me if you can" feierte am Samstag Premiere.

Szenenbilder "Catch me if you can", Staatstheater Nürnberg 2018 | Bildquelle: © Staatstheater Nürnberg / Pedro Malinowski

Bildquelle: © Staatstheater Nürnberg / Pedro Malinowski

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Die Farbfernseher werden ja immer besser, aber die Wirklichkeit, die erscheint vielen nur noch schwarz-weiß, um nicht zu sagen: Graustichig. Vielleicht sogar grobkörniger als früher, denn in den sechziger Jahren, da war die Zukunft noch eine Verheißung, heutzutage ist sie ja eher eine Bedrohung. Piloten streiken, Ärzte jammern, Anwälte verzweifeln - Traumberufe sind rar geworden. Das ist im Musical "Catch me if you can" noch anders, da genießt der junge Hochstapler Frank Abagnale Jr. Uniform, Kittel und Robe: In den sechziger Jahren alles noch Kennzeichen für einen gemachten Mann, ja den Sinn des Lebens, denn der hieß damals noch Karriere.

Gil Mehmert ist einer der besten

Szenenbilder "Catch me if you can", Staatstheater Nürnberg 2018 | Bildquelle: © Staatstheater Nürnberg / Pedro Malinowski Mama Paula Abagnale (Alexandra Farkic) | Bildquelle: © Staatstheater Nürnberg / Pedro Malinowski Ja, diesen Frank Abagnale, Jahrgang 1948, gibt es wirklich, Steven Spielberg machte aus dem Leben des Scheckbetrügers und Narzissten 2002 einen Erfolgsfilm, ein paar Jahre später folgte das Musical, und das brachte Gil Mehmert gestern Abend am Staatstheater Nürnberg so mitreißend und aktuell auf die Bühne, dass die Zuschauer nach drei rasant-kurzweiligen Stunden stehend applaudierten. Nun ist Mehmert hierzulande für das Musical sicherlich einer der besten und erfahrensten Regisseure überhaupt, immerhin hat er in Hamburg "Das Wunder von Bern" inszeniert, eine hoch professionelle und superteure Produktion. In München riss er am Gärtnerplatztheater das Publikum mit "Priscilla, Königin der Wüste" von den Sitzen. Der Mann hätte zweifellos auch am Londoner Westend Erfolg.

Unter Drogen wie Doris Day

Szenenbilder "Catch me if you can", Staatstheater Nürnberg 2018 | Bildquelle: © Staatstheater Nürnberg / Pedro Malinowski Szene aus "Catch me if you can", Staatstheater Nürnberg | Bildquelle: © Staatstheater Nürnberg / Pedro Malinowski In Nürnberg stimmte bei "Catch me if you can" einfach alles: Das Tempo, der Witz, das Casting, die Ausstattung. Klar, Bühnenbildner Jens Kilian und Kostümdesigner Falk Bauer zitierten die sechziger Jahre, mit Turmfrisuren, Pailletten-Kleidern, grellen Farben und knurrigen FBI-Beamten mit Kippe und Hut. Stewardessen, Krankenschwestern und Bardamen standen noch allesamt unter gefährlichen Drogen wie Doris Day und halluzinierten von Kindern, Kirche und Küche. Das geht heute nur noch als Kult oder Trash durch, Mehmert zeigt beides, ohne dabei jemals betulich oder überheblich zu werden. Denn was treibt diesen Hochstapler Frank an? Die Sehnsucht, geliebt zu werden, der Wunsch nach Anerkennung. Seine Eltern lassen sich scheiden, der Vater trinkt, die Mutter heiratet einen anderen. Der Sohn will es beiden recht machen, womit er aber schon beim Scheidungsprozess scheitert.

Mit Feuer und Verve gespielt

Fortan mogelt er sich durchs Leben, will es endlich "live und ganz in Farbe" genießen, und das Bizarre daran: Alle machen es ihm leicht, sogar das FBI. Ob das heute anders wäre? Einerlei, David Jakobs spielt und singt diesen Kerl großartig, glaubwürdig, mit augenzwinkerndem Charme und als überwältigender Sympathieträger. Ebenso fesselnd: Der Holländer Rob Pelzer als FBI-Jäger Carl Hanratty - hart und unerbittlich, aber gleichzeitig einsam, schrullig und mit dem Herz am rechten Fleck. Wirklich stark, wie gut dieses Ensemble zusammengestellt wurde, niemand unter den Solisten fällt gegenüber den anderen ab, auch die kleinste Rolle wird mit Feuer und Verve gespielt. Und weil auch die Tonanlage mitmacht, kommt das akustisch endlich mal klar und sauber rüber - wie oft müssen sich Stadttheater mit scheppernden, hohltönenden und unzuverlässigen Lautsprechern behelfen.

Wenig sentimental, dafür berührend

Szenenbilder "Catch me if you can", Staatstheater Nürnberg 2018 | Bildquelle: © Staatstheater Nürnberg / Pedro Malinowski Szene aus "Catch me if you can", Staatstheater Nürnberg | Bildquelle: © Staatstheater Nürnberg / Pedro Malinowski Dirigent Jürgen Grimm spielt mit seiner zwölfköpfigen Band so munter und engagiert auf, als ob jeden Moment Diana Ross oder irgendein anderer Superstar der Sixties erwartet wird. Dieser Musical-Abend macht gute Laune auf ansprechendem Niveau, ist optisch furios, musikalisch mitreißend, inhaltlich erfrischend wenig sentimental und dafür umso ehrlicher berührend. Zum Auftakt der neuen Intendanz von Jens-Daniel Herzog hat das Staatstheater Nürnberg eine wahre Glückssträhne, und die geht zuverlässig weiter, denn die nächste Premiere gilt dem früh verstorbenen Fotomodell Anna Nicole Smith, über die eine Oper geschrieben wurde, die Herzog bereits an seinem früheren Arbeitsplatz in Dortmund inszenierte. Auch das war ein großer Wurf in jeder Hinsicht.

Weitere Infos und Aufführungen des Musical "Catch me if you can" gibt es beim Staatstheater Nürnberg.

Sendung: "Allegro" am 8. Oktober 2018 ab 06:05 auf BR-KLASSIK

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